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BALKAN BEAT BOX
Balkan Beat Box

(Essay Recordings AYCD08/Indigo)
11 Tracks, 52:59, mit engl. Infos

Der Balkan ist die Brücke zwischen Orient und Okzident. Die Balkan Beat Box macht weder an der westlichsten noch östlichsten Grenze dieses Zwischenreichs Halt. Vielmehr verschmelzen die New Yorker, die ursprünglich aus Israel, Marokko und dem Iran kommen, Sounds und Beats aus beiden Hemisphären. Klingt erst mal nicht so spannend, machten dies doch bereits unzählige andere „West meets East“-Projekte. Aber die BBB, die hierzulande auf dem Album Bucovina Club Vol. 2 reüssierte, gibt der Fusion einen neuen Kick. Mit Electronica-Einsprengseln, Sampletechnik, Banghrarhythmen, Dubeffekten und Ragga-Toasting fügt dieses Kollektiv aus DJs und Musikern der alten Methode neuen (elektronischen) Wahnsinn hinzu. In den collagenhaften Basteleien erinnert das an Solomon & Socalled, das Seitenprojekt der Oi-Va-Voi-Geigerin Sophie Solomon, in den Dancefloornummern mit ihrem hohen Trancefaktor an Bands wie Transglobal Underground oder Suns of Arqa. Ein schöner Morgenlandtrip.

Frank Schuster

 

BALKAN BEAT BOX - Balkan Beat Box


MACACO
Entre Raíces Y Antenas

(Mundo Zurdo/Galileo LC.12661)
16 Tracks, 64:37, mit Texten

Endlich hat der musikalische Internationalist Macaco El Mono Loco alias Dani Carbonell wieder eine eigene CD für seine weltweite Fangemeinde produziert. Der quirlige Freigeist aus Barcelona hat mit raíces und antenas nicht nur Musiker aus verschiedenen Ländern und Kontinenten um sich versammelt, sondern auch auf grandiose Art und Weise Altes (raíces) mit Neuem (antenas) verbunden. Dabei ist die vorliegende CD ein Querschnitt des Originalalbums, das erste, das Macaco im neugegründeten Eigenverlag Mundo Zurdo produziert hat. Der erste Teil besteht aus dem dynamischen Zusammenspiel der multikulturellen Band, die es schafft, ohne Elektroschnickschnack und Samples, dafür aber mit einer Vielzahl an Instrumenten einen groovigen Sound für Wohnzimmer und Tanzflächen der Globalistaszene zu schaffen. Spannender sind die Songs des zweiten Teils „Von der Antenne zur Wurzel“ in der Welt eingefangen und im Heimstudio abgemischt. Regentropfen geben den Takt an und Gitarrenriffs schweben über einem Klangteppich von waschenden Frauen aus Kamerun. Dazu gescratchte Stimmen in Echtzeit und wunderbare Einlagen der Gastmusiker Langui (La Excepción), Lilian (Zuco 103) und Nubla. Macaco zeigt mit seiner dritten CD, dass er sich nicht nur auf der Höhe der Zeit befindet, sondern dieser auch immer einen Schritt voraus ist. Entre Raíces Y Antenas ist der Soundtrack zu einer Welt, in der sich Communities weniger geographisch definieren, als durch gemeinsame Träume und Utopien.

Angela Isphording

 

MACACO - Entre Raíces Y Antenas


PAUL MOUNSEY
Tha Na Laithean A’Dol Seachad - The Days Flash Past

(An Lanntair LANN 002 CD)
12 Tracks, 46:26

Das Arts Centre An Lanntair in Stornoway auf der Hebrideninsel Lewis steht kurz vor dem 21. Geburtstag und zieht in ein neues, speziell entworfenes Gebäude ein. Grund genug, eine CD zu kommissionieren, deren Musik genau wie An Lanntair für Tradition und Gegenwart steht. Zu diesem Zweck wählten gälische Sängerinnen der Insel traditionelle Stücke aus. Die wiederum nahm der Soundtüftler Paul Mounsey, bekannt durch seine eigenen CDs, z. B. Nahoo, und die Zusammenarbeit mit Runrig auf der 2003er CD Proterra, als Basis, um sie nachhaltig mit modernen Sounds anzureichern.

So weit, so logisch. Nur ist es das Resultat leider ziemlich zwiespältig. Manchmal reichert Mounsey das Original an, macht es behutsam zu etwas Neuem und Modernen, ohne den ursprünglichen Charakter der Musik zu verändern. Anna Murrays Beitrag z. B. erfährt eine solche Behandlung.

Aber manchmal kleistert Mounsey die Stücke auch schlicht elektronisch zu, er überfrachtet sie mit z. T. unpassenden Klangideen. Der puirt-a-beul „Thig Am Bàta“ ist ein solcher Sündenfall, wo die wunderbare Stimme von Christine Primrose vor lauter Trommelei kaum noch zu hören ist.

Vielleicht, aber auch nur vielleicht, sind jedoch meine Ohren so viele Soundspielereien gar nicht gewohnt und ich reagiere deshalb teils ablehnend. Oder es gilt doch der alte Spruch: Man kann alles übertreiben.

Mike Kamp

 

PAUL MOUNSEY - Tha Na Laithean A’Dol Seachad - The Days Flash Past


EMMA HÄRDELIN, KATARINA HALLBERG, JOHANNA BÖLJA HERTZBERG, KERSTI STÅBI
Love Letters & Russian Satellites

(Westpark Music WP 87112/Indigo)
19 Tracks, 51:02, mit dt. und engl. Infos

Vier schwedische Sängerinnen, jede für sich längst bekannt, haben sich zusammengetan, sozusagen als Silly Sisters hoch zwei, und wie die großen Vorbilder singen sie sich einmal quer durch die Musik ihres Landes, unterstützt von hervorragenden Musikern. Sie singen solo oder in unterschiedlichen Kombinationen, sie singen zu spärlich eingesetzter, aber absolut gekonnter Instrumentalbegleitung, sie singen Spottlieder, blutrünstige Balladen aus dem gesamteuropäischen Balladenschatz (wie die des gemordeten Liebespaars, aus dessen Grab eine schöne Blume wächst), sie singen Kinderlieder und Spiellieder, die in Schweden noch heute allgemein bekannt sind, die aber nie auf CD zu hören sind (das schwedische Äquivalent zu „Hoppe Hoppe Reiter“ zum Beispiel), und sie singen einen Choral von Paul Gerhardt, dessen Werk in schwedischer Übersetzung dort offenbar derzeit auf keinem Tonträger fehlen darf. Wäre schön, wenn wir mal erfahren könnten, woran das liegt. Wäre auch schön gewesen, im Beiheft ein wenig über die Gewährsfrauen zu lesen, von denen viele Stücke stammen, z. B. die oft erwähnte Agnes Gårder. Der Informationsmangel ist aber wirklich das einzige, was sich an diesem Meisterinnenwerk beklagen lässt.

Gabriele Haefs

 

EMMA HÄRDELIN, KATARINA HALLBERG, JOHANNA BÖLJA HERTZBERG, KERSTI STÅBI  - Love Letters & Russian Satellites


IARLA O’LIONÁIRD
Invisible Fields

(Real World CD 07243 474541 2 7/Virgin)
10 Tracks, 54:44, mit engl. und gäl. Texten und Infos

Iarla O’Lionáird hat uns bereits als Jugendstar beglückt, als er 1993 bei Noel Hill und Tony McMahon, zwei Pokalträgern der irischen Tradition, mitsingen durfte. Später ist er dann aus dem - für ihn offenbar - zu engen Raum der Traditionalisten ausgebrochen und hat sich experimentellen Projekten wie dem Afro-Celt Sound System angeschlossen. Auch diese Produktion hier erscheint bei Peter Gabriels Real World Label - per se ein Hinweis auf die Klanggüte. Mit Unterstützung verschiedener hochkarätiger Musiker der Worldmusic-Szene wird eine sehr sphärische Stimmung kreiert. Moderne Elemente sind jede Menge vorhanden, mit sehr guten Vokal- und Percussionsamples und wunderbaren Synthesizerflächensounds wird nicht gegeizt. Iarla singt seinen perfekten Sean-nos (so nennt man den alten Stil unbegleiteten gälischen Gesangs) in dieser klanglichen Umgebung völlig mühelos und unprätentiös, das führt zu mancher Gänsehaut! Das ewig Langsame dieser Platte muss man allerdings mögen, nur ein Stück hat einen festen Groove, alles andere ist rhythmisch frei und sehr elegisch. Einige Stücke haben traditionellen Ursprung, vieles ist selbst geschrieben. Sehr berührt hat mich Iarlas Interpretation von „Taimse Im’ Chodlach“ - für mich eines der ergreifendsten Stücke der irischen Musik. Fazit: eine sehr spezielle Aufnahme von höchster Qualität.

Johannes Schiefner

 

IARLA O’LIONÁIRD - Invisible Fields


TERRAE - COMPAGNIA DI MUSICHE POPOLARI
38° Parallelo Instabili Terre

(Folk Club Ethnosuoni ES 5352/Old Songs New Songs)
10 Tracks, 42:50, mit sizilian. und itall. Texten und Infos

An Europas Schnittstellen zu Afrika verbluten Menschen auf Maschendrahtzäunen. Abschottung heißt unsere Antwort auf die Migration des schwarzen Kontinents. In kultureller Hinsicht stehen die Türen an Europas Schnittstellen zu Afrika aber schon Jahrhunderte lang weit offen. Terrae lassen keine Zweifel aufkommen, wo ihre Sympathien liegen. Ihre Musik ist ernst und erdig zugleich. Eine klassische Geige, ein oft gestrichener Kontrabass und die Gitarre kontrastieren mit arabischen Percussioninstrumenten, einer Neyflöte und Gesang. Arabische Skalen treffen auf europäische Akkordfolge. Und das Kreuz wird nicht etwa von Jesus getragen, nein, das Kreuz trägt heute ein muslimischer Einwanderer auf seinem geschundenen Rücken. Die musikalische und textliche Botschaft der Sizilianer fasziniert vom ersten bis zum letzten Ton. Kunstmusik und Volksmusik, Kopf und Körper zugleich, lassen uns Terrae in eine noch kaum gehörte Welt zwischen Europa, Nordafrika und die arabische Welt eintauchen. Ein Euro jeder verkauften CD geht zugunsten des Zentrums für den Frieden der „Città Futura“ des sizilianischen Ortes Barcelona. Terrae meinen es Ernst mit ihrer musikalischen Sache!

Martin Steiner

 

TERRAE - COMPAGNIA DI MUSICHE POPOLARI - 38° Parallelo Instabili Terre


ROAR VANGEN
Streng

(Vallerndasen 106)
10 Tracks, 39:12

Die Jazzmusiker wissen das schon lange. Aus Skandinavien kommen in den letzten Jahren die innovativsten, merkwürdigsten und erfrischendsten Impulse. Oft unüberhörbar ist der große Einfluss der Folklore des jeweiligen Landes. Roar Vangen ist ein ungeheuer expressiver Gitarrist mit unverkennbarem Personalstil. Häufig benutzt er ein eher ungewöhnliches Tuning (CGCGCE), das der Gitarre mehr Tiefe und Sonorität verleiht und einer Grundtonbezogenen Musik entgegenkommt. Gelegentlich jagt er die Gitarre durch elektronische Klangwandler und schafft auf diese Weise riesige obertonreiche Klangräume. Auf der neuen CD des Norwegers mit dem Titel Streng, was man schlicht mit „Saite“ übersetzt, findet sich Ensemblemusik sowie solistisches. Percussion, Flöten, Fiddles und weibliche wie männliche Stimmen, die ebenfalls rein instrumental eingesetzt werden, stützen den weltmusikalischen Exkurs, denn Quelle der Inspiration ist sicher nicht immer die nordische Folklore gewesen. Der „Norsk Jig“ weckt irische Assoziationen und „Babylon Boogie“ ist tatsächlich eine seltsame Melange aus Heavy Rock und nahöstlichen Melodien. Das abschließende „Rundt&rundt“ ist gar ein mittelalterlich anmutender Rausschmeißer. Vangens Spiel strotzt vor Energie. Mit präzisem, rasantem Timing treibt er die Band zu ekstatischen Höhepunkten. Hörbeispiele und einen Live Videomitschnitt findet man auf www.roarvangen.com.

Rolf Beydemüller
 

ROAR VANGEN - Streng


BOBAN MARKOVIC ORKESTAR
The Promise

(Piranha PIR1901/Indigo)
14 Tracks, 55:45, mit engl. Infos

Was haben Michael Schumacher und Boban Markovic gemeinsam? Beide holten fünf Titel in Folge: Schumi als Formel-1-Weltmeister und Boban gewann beim „Weltcup der Blechbläser“ in Guca, dem „serbischen Woodstock“, fünfmal hintereinander die Goldene Trompete. Und noch etwas verbindet die beiden Meister verschiedener Metiers: Sie sind turboschnell. Es wird berichtet, dass der für coolere Töne bekannte Miles Davis von den Künsten eines Markovic begeistert gewesen sein soll. Mit The Promise, Bobans drittem, erstmals komplett im Studio eingespielten Album, liegt ein würdiger Nachfolger von Boban I Marko (siehe Folker! 01/2004) vor. Wieder zusammen mit seinem Sohn, dem erst 17 Jahre alten Marko, und einem 13-köpfigen Orchester eingespielt, weitet Boban erneut das Spektrum der Gypsy-Brass-Band-Musik. Produziert von der Worldmusic-Legende Ben Mandelson alias Dr. Hijazz Mustapha (3 Mustapha 3) bietet das Album einen feurigen, abwechslungsreichen Cocktail aus Balkanklängen, in die sich Ingredienzien aus Jazz und gelegentlich Latin („Meksikanka“, „Latino“) einmischen. Besser als Formel 1 und weltmeisterreif - ganz ohne Abgase in die Luft zu blasen.

Frank Schuster

 

BOBAN MARKOVIC ORKESTAR - The Promise


PROYECTO CAMALEAO AZUL
O Sul

(Nubenegra/Galileo LC12703)
10 Tracks, 38:41, mit Texten

Die Algarve, an der Südspitze Europas ist eher für ihre landschaftliche Schönheit als für gute elektronische Musik bekannt. Doch mit dem wunderbaren Album O Sul zeigt die Band um Viviane (Gesang) und Tó Viegas (Gitarre), dass es Zeit ist, dort nicht nur zum Baden hinzureisen. Unter dem Bandnamen Camaleão Azul vertonten die beiden Gedichte des ebenfalls von der Algarve stammenden Poeten und Freundes der Gruppe Fernando Cabrita. Da schweben Möwen über weite Sanddünen, alte Häuser schmiegen sich an die Steilküste und die Sonne leuchtet über azurblauem Meer. Die wunderbare Stimme von Viviane, geschmeidige Rhythmen, elektronische Mischungen und traditionelle Instrumente wie Akkordeon, viola braguesa oder der Adufe-Trommel schaffen völlig unaufgeregt eine herrliche Klangkulisse für verträumte Momente zu Hause oder cooles Loungen mit Freunden.

Angela Isphording

 

PROYECTO CAMALEAO AZUL - O Sul


DIVERSE
Passendale Suite 2

(Vredesconcerten Passendale VP 006)
Do-CD, 31 Tracks, 126:01, mit vielen engl. und frz. Infos und Fotos

Des viel gelobten Piet Chielens’ neuestes Werk - und, um diesem auch nur annähernd Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wären mindestens drei Heftseiten nötig, also beschränken wir uns auf die Nennung der Mitwirkenden: Coope, Boyes & Simpson, Koen de Cauter, Une Anche Passe, June Tabor, Patrick Riguelle, Bram Vermeulen, Willem Vermandere, Vredesconcerten Quartet und - als erster Deutscher bei diesem Projekt - Thomas Friz, dessen Großvater vor Ypern im Schützengraben gelegen und sogar Notizen darüber hinterlassen hat. Thema ist diesmal nicht so sehr der Erste Weltkrieg - beim Thema Ypern und Umgebung natürlich unvermeidlich -, es geht um die Gegend, die den durchmarschierenden Heeren vieler Nationen sozusagen immer schon im Weg lag (wie schon Cäsar im Gallischen Krieg gleich im ersten Satz erwähnt). Die Lieder im neuen Programm stammen aus den Spanischen Erbfolgekriegen, den Napoleonischen Kriegen und dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Aufgeführt wurde die neue Passendale Suite im Dorf Passendale, Schauplatz einer besonders grauenhaften Materialschlacht im Ersten Weltkrieg. Wer bei dem Konzert nicht dabei sein konnte, braucht die CDs - so einfach ist das.

Gabriele Haefs

 

TENDACHËNT
La Valle Dei Saraceni

(Folk Club Ethnosuoni ES 5349Old Songs New Songs)
15 Tracks, 49:33, mit Texten sowie ital. und engl. Infos

Nach ihrer Zusammenarbeit mit der Sängerin Betti Zambruno und dem Debütalbum Ori Pari verspricht die lang erwartete neue CD der Piemontesen eine musikalische Annäherung an die Sarazenen. Die Einflüsse der Araber scheinen aber im Monferratotal nicht allzu tiefe Spuren hinterlassen zu haben. Vielmehr überwiegt der vom Multiinstrumentalisten Maurizio Martinotti (Drehleier, Gesang, Flöten, Spinett, Tasten, Maultrommel) seit vielen Jahren perfektionierte, wohlig warme Gesamtklang. Immer dann, wenn der Gastmusiker Enzo Avitabile mit seiner Stimme und dem Saxophon dagegensetzt, spürt man die Araber in nicht allzu weiter Ferne. Der Höhepunkt des Albums bildet das Stück „La Pasiun Dal Nost Signur“, mit den polyphonen Frauenstimmen der Gruppe De Calaix, die Maurizio Martinottis warmen Bariton kontrastieren. Das darauf folgende Instrumentalstück „Bianca“ mit seinem wunderschönen Streicher-Intro und dem bissigen Einsatz von Drehleier, Elektrobass, Gitarre und Drums zeigt einmal mehr das Gespür der Gruppe für effektvolle Übergänge. Folkrock nannte man in England diese Musik am Anfang der 70er Jahre. Wer bei Namen wie Malicorne oder Fairport Convention aufhorcht, sollte unbedingt mal bei Tendachënt reinhören.

Martin Steiner

 

TENDACHËNT - La Valle Dei Saraceni


Polskie Tango
Old World Tangos Vol. 3

(Oriente Musik LC03592)
22 Tracks, 68:44, Begleittext mehrsprachig

Auch in Polen gab es „die gute alte Zeit“. Nachdem der Tango noch bis 1925 eher die Ausnahme in der polnischen Musikszene war, holte er dann gehörig auf und beherrschte binnen weniger Jahre die Salons polnischer Städte. Der 1929 von J. Petersburski komponierte „Tango Milonga“ machte unter dem Namen „Oh, Donna Clara“ Weltkarriere, auf dieser CD bildet er den Abschluss. Bis zum abrupten Ende jeder Kultur durch den Einmarsch der deutschen Armee 1939 wurden nahezu alle bekannten Tangos der Welt in Polen nachgespielt, mit freier polnischer Übersetzung; die Kompilation überrascht uns noch mit einem deutsch gesungenen Tango. Musikalisch werden wir weniger überrascht, die polnischen Musiker (übrigens in der Mehrheit jüdischer Abstammung) bewegten sich im bekannten Flair des Europas der 20er Jahre. Vielleicht sind sie etwas sanfter, etwas melancholischer, etwas sentimentaler. Der Herausgeber J. Placzkiewicz hat aus seiner Sammlung von Erinnerungsstücken seiner Kindheit eine anrührende und tanzbare Auswahl vorgelegt und uns damit ein Stück kultureller Erinnerung zugänglich gemacht.

Jürgen Brehme

 

Polskie Tango - Old World Tangos Vol. 3


LAYALY ENSEMBLE
Orient - Okzident (Musik vom Mittelmeerraum bis zum Kaukasus)

(VarisOne 402 4569 3044 2/Fenn Music Service)
21 Tracks, 66:09, mit dt. und engl. Infos

Welch eine bezaubernde CD! Dieses Instrumentalwerk zeigt die Vielschichtigkeit dessen, was unter „orientalischer Musik“ subsumiert wird: von kompositorischer Strenge bis zu improvisiertem Leicht-Sinn, von tiefer Trauer bis zur Ekstase. Der Silberling versprüht einen orientalischen Kosmos, der von einer Ägypterin, einem Kurden, zwei Türken und einem Deutschen entfaltet wird. Ihr Repertoire reicht von Andalusien und Griechenland über den Iran bis nach Aserbaidschan und umfasst sowohl die orientalische Klassik wie auch die traditionelle Musik. Manchmal spielen sie in traditioneller Instrumentierung mit Oud, Klarinette und Percussion, dann führen Klavier und Kanun (Trapezzither) einen Dialog. Zugleich bleibt auch genügend solistischer Freiraum für die türkische Langhalslaute oder die Trapezzither, arabische Laute und einem überraschend melodiösen Percussionsolo.

Das Quintett lebt in Berlin. Einige sind ausgebildete Musiker, andere großartige Autodidakten. Aber sie verfallen nicht ins vordergründig Konzertante, sondern lassen immer wieder Spielfreude und Federleichtigkeit aufblitzen. Reizvoll geraten jene Momente, wo sich Orient und Okzident wirklich begegnen, in denen das Quintett im Ensemblespiel eine behutsame Mehrstimmigkeit anstimmt.

Leider muss es angesichts vieler Klangmüll-CDs betont werden: Dieses CD klingt wirklich gut, nicht übermäßig verhallt und wohltuend balanciert. Ein überzeugendes, hochmusikalisches Album, fernab jeder Multi-Kulti-Gemütlichkeit und biederer Gesten von Völkerfreundschaft.

Birger Gesthuisen

 

LAYALY ENSEMBLE - Orient - Okzident (Musik vom Mittelmeerraum bis zum Kaukasus)


MARTIN CARTHY
Shearwater

(Castle Music CMQCD1096 / Sanctuary Records)
13 Tracks, 54:29, mit engl. Infos

Waiting For Angels

(Topic Records TSCD 527)
11 Tracks, 56:03, mit engl. Infos

WATERSON : CARTHY
Fishes & Fine Yellow Sand

(Topic Records TSCD 542)
12 Tracks, 61:83, mit engl. Infos

BRASS MONKEY
Flame Of Fire

(Topic Records TSCD 550)
14 Tracks, 59:28, mit engl. Infos

Der Großmeister der englischen Folkmusik im Abstand von über 30 Jahren! Shearwater erschien 1972 nach seinem Abschied bei Steeleye Span, und er war deutlich hörbar in seiner ziemlich nasalen Gesangsphase. Nun mit drei Tracks aus den Sessions bei John Peel im gleichen Jahr angereichert. Gut, aber keine Sternstunde.

Der Carthy des 21. Jahrhunderts arrangiert weniger simpel (nur vier Tracks sind solo) und wird aufwendiger und aktueller produziert, ein-, zweimal gar ein wenig übertrieben. Verantwortlich: Tochter Eliza und Ben Ivitsky. Die Zusammenstellung erfüllt meist die für ihn üblichen Qualitätsstandards und reicht von Traditionals (nicht nur aus England) über zeitgenössische Kompositionen bis zu Filmmusiken („The Harry Lime Theme“, auch bekannt als „Der Dritte Mann“). Täuschen mich meine Ohren oder zeigt Carthys Stimme ab und zu dezente Alterserscheinungen? Für die Rente ist er noch zu jung. Vielleicht entschied sich Carthy nicht von ungefähr für vier Instrumentals, darunter das Titelstück, eine vielschichtige und komplexe Eigenkomposition.

Älterwerden vielleicht, aber definitiv nicht auf Kosten der Aktivitäten. Da ist zum einen Waterson : Carthy mit Gattin Norma Waterson, Tochter Eliza und Tim Van Eyken. Drei starke Instrumentalisten und vier feine Stimmen, immer wieder eine Garantie für mitreißende Melodien und Lieder, letztere meist über schlechte/böse Menschen, die laut Carthy eh interessanter sind als die Wohltäter. Ein starkes Album, u. a. mit einem Grateful-Dead-Stück! Leider fehlen ein wenig die Lieder mit dem „4x Gesang aus voller Kehle“, den Waterson : Carthy zelebrieren können wie wenige andere.

Und zum anderen (obwohl damit die Carthy-Aktivitäten nicht enden) sind selbst die bläserlastigen Brass Monkey mit Jon Kirkpatrick, Martin Brinsford, Howard Evans und Roger Williams weiterhin aktiv. Carthy und Kirkpatrick teilen sich den Gesang, bemerkenswert ist jedoch die nicht alltägliche Instrumentierung mit u. a. Saxophon, Trompete, Flügelhorn, Trombone, Tuba, Akkordeon und Gitarre. Das klingt wie eine absolut stimmige Mischung aus Folkband, schmissiger Feuerwehrkapelle und Bläserquartett und ist einfach toll. Und ziemlich einzigartig.

Mike Kamp

 

MARTIN CARTHY - Shearwater

MARTIN CARTHY - Waiting For Angels

WATERSON : CARTHY - Fishes & Fine Yellow Sand

BRASS MONKEY - Flame Of Fire

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