back Die besondere CD

Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder drei CDs, die aus der Masse herausragen:

Deutschland DEITSCH -->  Königskinder
Italien CALICANTO -->  Isole Senza Mar
Afrika CHEIKH LÔ -->  Lamp Fall

DIE BESONDERE - Deutschland
DEITSCH
Königskinder

(Artes Records/Rough Trade ARCD 3037)
14 Tracks, 55:49, mit Texten und Infos

„Auf so etwas haben wir lange warten müssen!“ Mit diesen Worten schickte mir der ansonsten mit solchen Äußerungen sehr zurückhaltende Leiter der Rezensionsredaktion diese CD. Der Mann hat Recht! Gudrun Walther (Gesang, Violine, Viola) singt und spielt bei More Maids und CARA; Jürgen Treyz (Akustikgitarre, zwölfsaitige Gitarre, Dobro, Telecaster, Mandoline, Mandola, Satzgesang) ist Mitglied der Gruppen La Marmotte und Adaro und wirkte als Produzent, Arrangeur, Komponist und nicht zuletzt als virtuoser Musiker bei mehr als 50 CD-Produktionen mit. Im Duo Deitsch bündeln Walther und Treyz nun ihre Talente und schaffen mit der Summe ihrer vielfältigen musikalischen Erfahrungen, was ich persönlich nicht mehr für möglich gehalten habe: Sie beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, das Genre Deutschfolk zu beleben. Und wie!

Unterstützt werden Deitsch von den Uhlmann-Brüdern Johannes und Andreas (Diatonisches Akkordeon, Posaune), Henrik Mumm (Bass, Kontrabass, Cello), Herbert Wachter (Schlagzeug, Perkussion), Christoph Pelgen (Schäferpfeife, Hümmelchen) sowie Konstanze Kulinsky und Hans Ehrenpreis (Satzgesang). Die Gastmusiker der Debüt-CD sind zwar junge Musiker, haben sich aber bereits seit Jahren mit den Stilistiken der europäischen Folkmusik beschäftigt und sie verinnerlicht. Auf dieser Basis kreieren sie einen ganz eigenen, großartigen Sound: einfallsreich, filigran und ungemein virtuos eingespielt.

Die Musiker schaffen es mit leichter Hand, selbst so plattgespielten Standards wie dem titelgebenden Lied von den Königskindern, dem Stück „Wie schön blüht uns der Maien“ oder Instrumentalstandards wie „Vetter Michel“ neue musikalische Aspekte abzugewinnen, basierend auf dem meist angenehm bordunigen Sound einer in DADGAD gestimmten Akustiggitarre, gewürzt mit traumhaft schönen Fiddlelinien. Die Arrangements des Duos kann man einfach nur als „sophisticated“ bezeichnen, und jede einzelne der vielen hochdeutschen Entsprechungen dieses Adjektivs treffen hier zu. Genial, textdienlich und musikalisch abwechslungsreich, fesselnd von der ersten bis zur letzten Sekunde. Endlich gibt es wieder ein Aushängeschild der deutschen Folkmusik, das auf höchstem handwerklich-musikalischem Niveau mitspielen kann und Vergleiche mit internationalen Spitzengruppen nicht zu scheuen braucht. Eine besondere CD? Absolut!

Ulrich Joosten

 

DEITSCH - Königskinder


DIE BESONDERE - Italien
CALICANTO
Isole Senza Mar

(Cierre Edizioni, Felmay/Just Records Babelsberg)
15 Tracks, 61:36, mit Texten und ital./engl./franz./span. Infos

Die venezianischen Calicanto haben zu ihrem 25-jährigen Bestehen ein Konzeptalbum mit Musik und Texten der euganeischen Hügel des Veneto eingespielt. Entstanden ist ein in verschiedener Hinsicht besonderes Werk. Wer behauptet, das Musikbusiness stagniere, weil der Kauf einer CD im Gegensatz zur guten alten Schallplatte keine sinnliche Sache mehr sei, soll Isole Senza Mar in die Hand nehmen. Ein Augen- und Ohrenschmaus ist hier angesagt. Wer das 88-seitige Büchlein voll aussagekräftiger Fotos mit der sanft darin verpackten CD in die Hand nimmt, blättert erst mal eine Weile genussvoll darin. Wir erfahren nicht nur viel über Traditionen, die Geschichte, Landschaft, Vegetation und Fauna des besungenen Landstrichs. Wer Lust hat, kann sich mit dem rustikalen Rezept „Gnocchi mit Schweinslende“ einen geschmacklichen Eindruck der Gegend verschaffen. Selbstverständlich sind auch alle Texte der Lieder und die dazugehörigen Informationen in gut leserlicher Schrift im Büchlein enthalten.

Wie es sich zu einem großen Geburtstag gehört, wurden zu dieser Produktion eine Menge Gäste eingeladen. Allen voran die galicischen Milladoiro, die sich am Schluss der CD mit der Calicanto-Sängerin Claudia Ferronato gemeinsam auf den Pilgerweg nach Santiago aufmachen. Unter den weiteren Gästen finden wir Dominique Paris aus der Auvergne (Cabrette - Dudelsack), die Mönche der Schola Cantorum dell’Abbazia di Praglia (gregorianischer Gesang) oder auch Stimmen der Dorfbevölkerung. Das ergibt mit der Calicanto eigenen Neofolkmischung aus Gesang, Saiteninstrumenten, Kontrabass, Dudelsack, Akkordeon und Percussion ein Album voll unterschiedlicher Stimmungen und Schattierungen. Fehlt nur noch, dass die euganeischen Hügel mit den eigenen Füßen erfahren werden und so auch der Tastsinn voll auf seine Kosten kommt. Glaubt man den Worten des Dichters Percy Bysshe Shelley, muss die Aussicht auf den Lido von Venedig grandios sein. Besser kann man Tourismus- und Kulturwerbung für eine Gegend kaum machen.

Martin Steiner

 

CALICANTO - Isole Senza Mar


DIE BESONDERE - Afrika
CHEIKH LÔ
Lamp Fall

(World Circuit WCD 073/Indigo)
13 Tracks, 51:29, mit engl. und frz. Infos

In Sachen Internationalität legt Cheikh Lô mit seinem dritten Album noch einmal deutlich nach, hat sich dafür allerdings auch sechs Jahre Zeit gelassen. Der knallige Mbalax, das musikalische Nationalidiom Senegals, ist ein weiteres Mal heruntergefahren und bildet in lediglich drei Liedern die Grund- oder Beilage. Der Rest ist an den Dreadlocks herbeigezogen, die Zeichen der religiösen Zugehörigkeit Lôs zur islamischen Mouriden-Bruderschaft Baye-Fall sind, und Cheikh Ibra Fall alias Lamp Fall war deren erfolgreichster Missionar. Ein musikalisches Glaubensbekenntnis also.

Für das, was Lô nicht selbst einspielen konnte oder wollte, hat er sich gute Leute geholt, Lamine Faye an der Gitarre, den fabelhaften und sehr zurückhaltend agierenden Etienne Mbappé am Bass, und wieder Pee Wee Ellis am Saxophon und als Bläserarrangeur, der in den meisten, allerdings nicht allen Tracks überzeugt. Die Stimmungen auf Lamp Fall sind erneut sehr vielfältig, „Sante Yalla“ etwa geht über die Akkordfolge von „Chan Chan“ (lupenreine Quarte tiefer) und hat einen entsprechend kubanischen Touch; kongolesisch geht es in „N’Galula“ zu (hier ist Ellis spitze); „Bamba Mô Woor“ ist ein astreiner Reggae, während „Sama Kaani Xeen“ wiederum dem Lied „Soukanayo“ von Baaba Maal etwas ähnlicher sein dürfte (sogar dieselbe Tonart), als das Urheberrecht erlaubt. Damit aber nicht genug der Abwechslung, Lô war auch noch in Brasilien, wo er mit Leuten von Rang wie Alê Siqueira oder Davi Moraes viele Songs verfeinerte und auf „Senegal-Brésil“ gar eine 40-köpfige Bloco beschäftigte. Chefmixer Jerry Boys hat allerdings die von Siqueira produzierten Tracks sämtlich nachgemischt - da gab es wohl unterschiedliche Auffassungen. Bei aller Vielfalt ist Lamp Fall dennoch eine sehr runde Sache geworden, mit der Lô sich endgültig vom Status des vielversprechenden, „etwas anderen“ Neulings der senegalesischen Musikszene zu einer festen Größe entwickelt hat. Es gibt keinen Moment auf dem Album, den man vermissen möchte, Cheikh Lô at his best. Aber wieder so lange warten möchte man auch nicht.

Luigi Lauer

 

CHEIKH LÔ - Lamp Fall


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