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JACKIE LEVEN
Elegy for Johnny Cash
(Cooking Vinyl COOKCD331 - CDR/Indigo)
Promo-CD, 12 Tracks, 50:01
Muss man einen solchen Horror von Vita mit sich herumschleppen, wenn man
als Künstler zu einer derartigen Wahrhaftigkeit und Eindringlichkeit
durchbrechen will!? Als Roma in Schottland einer Gang-Vendetta bis zur
letztrettenden Flucht zum Opfer gefallen, London, Berlin, Madrid; Superband
Dolly by Doll, nirgendwo hingekommen, Bruch; halb stranguliert worden,
Stimme und Plattenvertrag verloren, dem Heroin verfallen - persönliches
Glück war im Leben Jackie Levens bis zum Tiefpunkt Mitte der 80er offenbar
reziprok zur künstlerischen Potenz angelegt. Seither scheinen sie Hand in
Hand zu gehen, jedenfalls sind die Katastrophenmeldungen versiegt - und der
Quell der Kreativität sprudelt wie je. So auch mit Elegy wieder, 14.
Veröffentlichung seit dem Comeback vor elf Jahren. Aufgenommen anlässlich
eines Roma-Welttreffens in Beirut, präsentiert es einmal mehr Levens
gesamtes im Singer/Songwriter-Feld singuläres stilistisches Spektrum: Volks-
wie Kunstlied, Weltmusik wie Jazz, kompakte Geschichten wie freie
Meditation. Das alles wird nur noch getoppt von der Nonchalance, mit der er
alles in Pathos taucht - im galoppierenden Nihilismus unserer Tage
bekanntlich die verpönteste aller Haltungen. Aber in der Kunst immer noch
nicht das kleinste bisschen weniger nötig und möglich als in den
Jahrtausenden zuvor - einmal aus Versehen diesen Monolithen aufgelegt, und
man möchte es nie wieder missen.
Christian Beck
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BRUCE COCKBURN
Speechless
(Cooking Vinyl/Indigo Cook CD355)
15 Tracks, 68:50, mit Infos
Der kanadische Songwriter zeigt sich „sprachlos“. Was auf früheren Alben
schon immer erkennbar war, wird auf Speechless zur Gewissheit. Der
Mann kann Gitarre spielen - und wie. Und er ist in der Lage ein ganzes Album
mit rein akustischer Musik vorzulegen, dass eine erstaunliche stilistische
Vielfalt enthält. Eigentlich ist The Instrumental Bruce Cockburn so
eine Art Best-Of, denn es birgt lediglich drei Neueinspielungen. Die anderen
Aufnahmen reichen zurück bis zum Titelstück der LP Sunwheel Dance von
1971. „Sunrise On The Mississippi“, ein Countryblues in bester
Mississippi-John-Hurt-Manier (aus Dart To The Heart von 1993),
kontrastiert herrlich mit dem weitaus jazzigeren Blues „King Kong Goes To
Tallahassee“ von 2005. „Rouler Sa Bosse“ präsentiert Cockburn im Duo mit dem
Klarinettisten Jack Zaza in einer nostalgisch gefärbten Hommage an den
Manouche Swing der Django-Reinhardt-Ära. Sehr schön sind die atmosphärisch
dichten Bilder in Elegy oder dem feinen Echogewebe „The End Of All
Rivers“, dass einen „modernen“ Cockburn zeigt, der gerne die Grenzen der
Tradition hinter sich lässt. Aber auch in dieser „sprachlosen“
Veröffentlichung erweist sich der Mann aus Kanada als grandioser und
geschichtenreicher Erzähler.
Rolf Beydemüller
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DIVERSE
The Q People - A Tribute To NRBQ
(Gem Buzz Records GEM-CD-005/Fenn Music Service)
14 Tracks, 47:27, mit engl. Infos
„In unserer Version eines perfekten musikalischen Universums wären NRBQ so
groß wie die Beatles“, sagen Los Lobos - also eine dritte Sonne (neben Bob)!
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht: Nicht anders scheinen die
Sache auch Steve Earle, Mike Mills (R.E.M.), Bonnie Raitt, Yo La Tengo,
Widespread Panic, Ron Sexsmith und J Mascis zu sehen - denn auch sie haben
es sich neben anderen nicht nehmen lassen, ein NRBQ-Cover zum vorliegenden
Juwel von Album beizusteuern. Wir bekommen: den Melodie- und
Harmoniereichtum der Beatles, der - Los Lobos sagen es! - NRBQ-Songs seit
nun bald 40 Jahren auszeichnet, die schräge Kick-Ass-Coolness des Rock ’n’
Roll plus das Händchen am Puls mehr als einer Generation von Nachgeborenen.
Das ist manchmal unaufgeregt spektakulär - im Falle von Los Lobos’ „Never
Take The Place Of You“ etwa, mit ihrem R ’n’ B der Güteklasse Rolls Royce,
aber auch bei Yo La Tengo, deren schluffige New Yorker Alternativwurstigkeit
„Magnet“ enorm gut bekommt, oder bei Steve Earles polternd knackigem „A Girl
Like That“. Mindestens amtlich sind alle Interpretationen - einziges
Fragezeichen: Elvis Costello, auf dem Cover mit dem längsten aller
Statements vertreten, fehlt auf dem Album!? Man muss offenbar doch noch mehr
als nur überdurchschnittliches Talent haben, um in den erlauchten Kreis
derer vorstoßen zu dürfen, die der besten aktiven Band der Welt ein
Ständchen bringen dürfen ...
Christian Beck
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CHRISTINE LAVINE
FolkZinger
(Appleseed Recordings APR CD 1091)
13 Tracks, 56:55
Die beiden stärksten Stücke auf Christine Lavins neuer CD, ihrem 17.
Solowerk, stammen aus der Feder ihres Songwriterkollegen Ervin Drake. In
„The Peter Principle At Work“ wird die politische Führung der USA
kritisiert, die das Volk mit einer Lüge in den Krieg geführt habe. Mit Bush
habe das Land einen Präsidenten, dessen Markenzeichen Inkompetenz sei. Er
regiere ganz nach dem Peter-Prinzip. Bei der Aufnahme ihrer CD konnte
Christine Lavin nicht ahnen, wie aktuell sie mit diesem Titel ist -
angesichts einer nach der Katastrophe am Golf von Mexiko hilflos agierenden
US-Regierung. „I’m A Card-Carrying Bleeding Heart Liberal“ - live
aufgenommen in der Old Town School Of Folk Music in Chicago - zeigt die
Absurdität der amerikanischen Gesellschaft auf, in der sozial bewusste
Menschen, die sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen einsetzen, als
unpatriotische Liberale denunziert werden. Ansonsten präsentiert Lavin,
unterstützt u. a. von ihrem langjährigen Begleiter Robin Batteau (Fiddle),
musikalische Alltagsszenen, deren Themen von safe sex über
Telemarketing bis hin zur Midlifecrisis reichen. Als Bonustrack gibt es eine
wunderschöne A-capella-Version von Lavins Hommage an den Big Apple „Winter
In Manhattan“ mit dem Vokaloktett The Accidentals.
Michael Kleff
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THE LOVE HALL TRYST
Songs Of Misfortune
(Appleseed Recordings APR CD 1089/Fenn Music Service)
13 Tracks, 50:20, mit engl. Infos
Gute Idee, gute Geschichte, gute Songs! Als der britische
Singer/Songwriter Wesley Stace alias John Wesley Harding sich oft genug
gefragt hatte, was diese komische Frau aus seinem eigenen Song „Miss
Fortune“ wohl für ein Mensch gewesen sei, gab er sich die Antwort einfach
selbst: als Historienroman aus dem 19. Jahrhundert mit über 500 Seiten! Und
das Abfallprodukt The Love Hall Tryst war auch schon mit drin: Bei seinen
Recherchen war Stace auf eine große Zahl britischer Folksongs und
-songfragmente gestoßen, hatte sie in die Handlung des Buches -
Misfortune - einfließen lassen, immer mehr, bis eine Aufnahme dieses
Schatzkästlein des historischen Musikfreundes gar nicht mehr zu vermeiden
war. Gesagt, getan - und so tat sich der Jungschriftsteller mit Kelly Hogan,
Nora O’Connor und Brian Lohmann zusammen und sang das vorliegende Album ein
- eine ebenso erhebende wie schockierende A-capella-Affäre mit zwei Zugaben
in prachtvollem klassischem Folkrockgewand: erhebend die Anmutung von
Geschichte und Dauer der Gesänge; schockierend die Gleichnisse von Tod und
Vergänglichkeit, gern schon bei Kindern, die sie erzählen. Da fragt man
sich, völlig abgesehen von der Tagesaktualität, ganz unwillkürlich, welcher
Krankheit eine Gesellschaft, in deren alltagskulturellem Mainstream derlei
nicht mehr vorkommt, wohl erlegen ist? Es muss zumindest etwas wie
plötzliche Verkindskopfung gewesen sein ...
Christian Beck
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