DIE BESONDERE - Frankreich
MOUSSU T E LEI JOVENTS
Mademoiselle Marseille
(Le Chant du Monde/harmonia mundi 2741325)
14 Tracks, 43:42, mit franz. Texten
Ehrlich gesagt hätte ich es nicht (mehr) für möglich gehalten, dass mich
Musik aus dem Midi nochmals so packen würde! Nee, mit dem deutsch-türkischen
DJ und Producer Mousse T. hat das Trio nix am Hut. Aber auch nicht wirklich
mit dem Agitprop-Folk, wie er während der okzitanischen Regionalismusphase
in den 70ern populär war. Zentrum der Nouvelle Trad-Szene ist im
Süden Frankreichs (s. a. Folker! 03/2000) eindeutig Marseille, und
die Galionsfigur das Massilia Sound System. Aus jener reggaebeeinflussten
Band haben sich Sänger Tatou und Saitenspezi Blu (vorübergehend) abgespalten
und den brasilianischen Percussionisten Jamilson mit „ins Boot“ genommen.
Für ihr Debütalbum gesellten sie noch diverse Freunde im Studio dazu (u. a.
Zino Moudjeb and der Gimbri [= Basslaute] und Akkordeonist Daniel Loddo).
Und dort müssen alle ziemlich gut drauf gewesen sein! Denn Spielfreude und
Spielwitz verbreitet die Truppe gleich beim eröffnenden Titelstück: kein
Gezirpe und Gezupfe, sondern gepfefferter Folkblues mit Slide Guitar und
Mouth Harp. Moussu T bedienen sich bei Ihrem bunten Stilmix aus praktisch
allen Genres, ohne aber alles einfach zu vermengen. Da wächst zusammen, was
eigentlich nicht unbedingt zusammengehört, aber es funktioniert bestens:
beim groovigen Ohrwurm „Lo Gabian“, dem psychedelisch angehauchten „Le Cul
Sur Le Perron“ oder der Gassenhauer-Rumba „Bolega Banjò“.
Wichtiges „Verbindungsstück“ ist Tatous raue, kehlige Stimme, die
Arrangements sind nicht aufgeblasen, jedes Stück ist „au point“
instrumentiert. Vor allem Blus Banjo- und Gitarrenspiel verdient Respekt.
Die in okzitanisch bzw. französisch (mit herrlicher Dialektfärbung)
gesungenen Lieder handeln oft von Fernweh und dem Leben auf See (z. B. „Pour
Le Bon Ils Nous Le Font“), verneigen sich vor einer gerne als „abgefuckt“
denunzierten Hafen- und Immigrantenstadt, die man letztlich lieben muss. Bei
der augenzwinkernden Würdigung von Marseilles kleiner Nachbarstadt („A La
Ciotat“) wird’s einem richtig warm ums Herz. Fazit: Eine tanzbare, zum
Swingen und Mitsingen einladende Platte, die unendlich viel Spaß macht.
Roland Schmitt
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DIE BESONDERE - Afrika
DIVERSE
Golden Afrique Vol. 2
(Network 29.076/Zweitausendeins)
2 CDs, 147:40, mit dt., frz. und engl. Infos
Zwei CDs, bis zur Kapazitätsgrenze vollgepackt mit guten alten
afrikanischen Sachen, da schlägt jedes Herz sofort polyrhythmisch. Während
Vol. 1 überwiegend Westafrika zugewandt war, sind nun die beiden Uferseiten
des Kongo an der Reihe, Brazzaville und - besonders - Kinshasa.
Chronologisch einwandfrei ist Vol. 2 früher angesiedelt und behandelt die
Jahre 1956-82, als die Rumba und ihre ungezählten Folgestile ganz Afrika
beschallten, bevor der Soukous sich die Füße ablief und Karikaturen wie
Koffi Olomide nur noch sich selbst kopierten. Stattdessen: Franco! Kabasele!
Mangwana! Docteur Nico! Tabu Ley Rochereau! Leon Bukasa! Nyboma! Da klingen
sofort Gitarrenlicks in den Ohren, die ein eigenes Köchelverzeichnis
verdient hätten. Und die Namen werden noch glänzen, wenn üble Diktatoren
längst Schutt und Asche im kollektiven Gedächtnis sind. Alleine der
„Independence Cha Cha“ von Kabasele, aus Rumba und Cha-Cha-Cha
gebraut, steigt einem sofort zu Kopf, verquirlt sich zum Indepen-Danse. Und
Manu Dibango, der damals ein paar Jahre in Kinshasa lebte, hat man auch
nicht vergessen, sein Beitrag zeigt wunderbar, dass er schon mit Mitte 20
andere musikalische Vorstellungen hatte. Bis zu zwölf Minuten sind die
Stücke lang, viele von ihnen Meisterwerke der kongolesischen Musik,
exzellent arrangiert, mit wunderbaren Improvisationsteilen, oft hervorragend
aufgenommen und gemischt, und einem Satzgesang, dass man Gotthilf Fischers
Vornamen nur noch als Aufforderung verstehen kann. Ja, gute alte Zeiten,
denn damals hat man noch richtig Musik gemacht statt Klingeltöne und nicht
das Rechnergeklicke von permapubertierenden Digitalisten auch noch
vervielfältigt statt zu löschen. Wer nach Gründen sucht, weshalb gerade die
Kongomusik das erste panafrikanische Kulturbindeglied wurde, findet auf
dieser Kompilation 27 Stück, und das Schönste, was man nach dem Hören des
letzten Liedes tun kann, ist, vorne wieder anzufangen. Liebe Networker,
lasst euch eines gesagt sein: Vor Vol. 3 gehe ich nicht ins Bett!
Luigi Lauer
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DIE BESONDERE - International
KTU
8 armed monkey
(Westpark Music 87119/Indigo)
5 Tracks, 43:03
Ein Traum ist wahr geworden. Kimmo Pohjonen, der Meister des
experimentellen Akkordeons und sein genialer Sampler Samuli Kosminen haben
sich mit Musikern der Artrocklegende King Crimson zu einem neuen Projekt
vereinigt. Mit KTU findet zusammen, was zusammengehört. Die Superstars von
King Crimson, Drummer Pat Mastelotto und Gitarrist Trey Gunn, fließen
harmonisch in die Klangskulpturen Pohjonens ein, hier entsteht Musik als
Ganzes. Die traditionelle Anordnung von Solo- und Begleitinstrument hat
genauso wenig Platz wie eine Unterscheidung zwischen Folk oder Rockmusik.
Das Zusammenspiel von KTU ist so intensiv, dass es schmerzt. Der Hörer hält
den Atem an, der Geist bereit und gierig auf die nächste Entdeckung, während
der Körper schon lange losgelöst auf die Reise geht. Dass diese CD live
aufgenommen wurde, ist nicht vorstellbar. Zu perfekt und präzise ist die
Arbeit dieser Künstler. Auch in Sachen Klangqualität wird diese CD zur
Referenzklasse und gehört in jedes HiFi-Studio. Natürlich sind KTU alles
andere als leichte Kost, aber die Strukturen sind mitreißend und tanzbar,
sodass die Annäherung leichter fällt als bei Pohjonens Jazzprojekten.
Songorientierte Traditionalisten werden mit KTU dennoch nicht glücklich
werden, Menschen mit offenen Ohren aber für dieses Album nicht genügend
Superlative finden.
Chris Elstrodt
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