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PROVIDENCE
III

(Rolling River RoRi CD 003)
10 Tracks, 44:16, mit Texten und Infos

Das von Puristen des Irish Folk langersehnte dritte Album der irischen Akustikband Providence ist da. Es trägt den schlichten Titel III. Nach Tourneen in USA und Europa und zahlreichen Radio- und Fernsehauftritten, die auf Nummer Zwei A Fig For A Kiss folgten, überrascht es nicht, dass Providence ihre Instrumente und Lieder wieder aufs Sorgfältigste zusammen arrangiert haben. Feine Melancholie in den Balladen, perfektes Mikrotiming in den Reel-Sets, Mut zur Langsamkeit, ausgefuchste Ornamentierungen bei Flute (Troy Bannon), Fiddle, Bouzouki (Paul Doyle), Gitarre und Concertina und ein durchgehend transparenter Sound prägen dieses Album. Mit der Anfang 20-jährigen Michelle O’Brien - zu Recht eine der gefragtesten irischen Nachwuchsgeigerinnen - umspannt das Altersspektrum des Quintetts eine Generation. Denn Gitarrist und Sänger Cyril O’Donoghue spielt seit über 20 Jahren mit den besten Musikern Irlands zusammen. Leider hört man auf der CD nicht die legendären, staubtrockenen Kommentare des Concertinaspielers Micheál Ò Raghallaigh, dem heimlichen Chef der Band. Die nächste Clubtournee, bei der man sich davon überzeugen kann, ist jedoch für diesen Oktober angekündigt. Infos unter go! www.kultur-i-d-landschaft.de

Elise Schirrmacher

 

PROVIDENCE - III


CAPERCAILLIE
Grace And Pride - The Anthology 2004-1984

(Survival Records SURCD030 / MP Media)
Do-CD, 38 Tracks, 154:08, mit umfangreichen engl. Infos

Es gibt ein bis zwei handvoll schottischer Bands, die aus der Menge der guten bis sehr guten Musiker des Landes herausragen, weil sie etwas Besonderes mit der schottischen Tradition angestellt haben. Die Battlefield Band gehört dazu, Runrig mit Sicherheit auch, aber garantiert zählen Capercaillie ebenso zu dieser innovativen Elite und mit Runrig verbindet sie der selbstverständliche Einsatz der gälischen Sprache in ihrer Musik Von der Highschoolband aus Oban über Chartsplatzierungen bis zur Verarbeitung modernster und kulturell verschiedenster Elemente (und dennoch eine Band von der Westküste zu bleiben), das ist ein weiter Weg und ein großer Spagat. Diese Anthologie zeichnet die 20-jährige Karriere vorbildlich nach, inklusive unveröffentlichter und vergriffener Tracks. Alleine die wunderbare und immer wieder erwähnte Stimme von Karen Matheson ist die Anschaffung dieser zweieinhalb Stunden wert. Einzige Kritik: Ist vielleicht ein netter Gag, aber warum wird der Weg vom Heute zum Gestern (2004-1984) nachgezeichnet? Mein Empfinden einer Anthologie ist immer noch aufsteigend.

Mike Kamp

 

CAPERCAILLIE - Grace And Pride - The Anthology 2004-1984


FAUST
Vildsint

(Vildi VILD 1)
12 Tracks, 54:48, CD mit sehr kurzen schwed./engl. Infos

Faust, so ein Name erweckt doch Assoziationen im deutschen Gemüte, aber hier ist nix mit „Heinrich, mir graust vor dir“ oder so, einer der drei Knaben der Gruppe heißt Alban Faust, so einfach ist das. Faust beziehen ihr Repertoire vor allem aus der reichen Überlieferung der schwedischen Landschaft Dalarna, wo es bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch eine ungebrochene Sackpfeifentradition gab, die Dalslandspipa ist folglich auf dieser CD zu hören. Weitere prägende Instrumente sind Nyckelharpa und Drehleier, dazu allerlei Saiteninstrumente. Wir finden sozusagen einen musikalischen Querschnitt, vom Choral bis zur Polska, einmal klingt’s belgisch, ist aber kein Wunder, denn das Stück haben sie von Ambrozijn gelernt; die meisten Stücke sind instrumental, einige Male aber wird gesungen, und Sänger Anders Ådin klingt und singt wie Cornelis Vreeswijk, der im Beiheftchen denn auch zitiert wird: „Volksmusik ist Musik ohne Schlips“. Diese Musik hier ist wunderbar, und hätte die Plattenfirma ein paar brauchbare Infos springen lassen, dann hätte sie sich glatt für „Die Besondere“ qualifiziert.

Gabriele Haefs

 

FAUST - Vildsint


MARIZA
Transparente

(EMI Capitol 0724347764622)
Promo-CD, 14 Tracks, 41:32

Mariza ist zurzeit der Stern am Fadohimmel. Die BBC World Music Awards und viele weitere Auszeichnungen haben der Weltmusikgemeinde klar gemacht, dass Mariza nicht nur gut aussieht, sondern auch wundervoll singt. Das tut sie auch auf Transparente mehr denn je. Wo früher ihre Stimme noch etwas scharf klang, betört sie jetzt mit Weichheit und Ausdruck. Mariza hat die Begabung, jede Silbe, jeden Schwerpunkt genau dort zu setzen, wo sie hingehören. So wird jeder dieser Fados, meist vertonte Gedichte, zu ihrem eigenen Lied. Transparente ist Marizas erstes Album für ein Major-Label. Wie immer, wenn ein neuer Stern geboren wird, bringt man ihn in Verbindung mit anderen Sternen. So wurde das Album vom brasilianischen Cellisten Jaques Morelenbaum produziert, bekannt aus seiner Zusammenarbeit mit Caetano Veloso. Morelenbaum unterlegt die Fados mit Streichern, gelegentlich auch mit Bläsern, sanft zumeist, selten (zum Glück) etwas üppiger, was den Stücken eine gewisse Leichtigkeit und Nostalgie verleiht. Wenn die Streicher opulent angerichtet werden, raubt das den Fados ihre natürliche Dynamik. Viel schöner ist Mariza dann, wenn sie, wie auf „Duas Lágrimas De Orvalho“, allein zu Morelenbaums Cello singen darf. Fazit: Streicher können Marizas Wirkung kaum schmälern. Mir gefallen die früheren, sparsamer arrangierten Produktionen jedoch besser.

Martin Steiner

 

MARIZA - Transparente


PIERRE BENSUSAN
Altiplanos

(Favored Nations/Rough Trade)
14 Tracks, 59:58, mit engl. und frz. Infos

Wo Pierre Bensusan draufsteht ist immer außergewöhnlich gute Gitarrenmusik drin. Nach Intuite (2001) folgt Altiplanos, sein zehntes Soloalbum. Bensusan ist einer der wenigen echten Poeten der akustischen Gitarre. Seine Tongebung, seine Phrasierung und seine harmonische Raffinesse sind einzigartig. Fasziniert verfolgen Hörer wie Saitenkollegen aus aller Welt seit Jahren den schier unerschöpflichen melodischen Erfindungsreichtum Bensusans. Er besitzt eine musikalische Gestaltungskraft, die in gleichem Maße expressiv wie introvertiert ist. Bei „Hymn 11“ z. B. einer Improvisation, die zu früher Stunde im hauseigenen Studio entstand, ist diese besondere, sehr intime „bensusansche“ Qualität fast körperlich nachvollziehbar. Ton für Ton tastet er sich aus der Stille und lässt der Musik Zeit und Raum für ihre unvorhersehbare Entwicklung. Drei ältere Stücke hat er in neuer Bearbeitung eingespielt und an wenigen Stellen holte er sich die Unterstützung von Kollegen: Kontrabassist Michel Benita und Saxophonist Didier Malherbe, mit dem Bensusan ja bereits ein Duoalbum veröffentlicht hat. Dass er auch ein eindrucksvoller Sänger ist, stellt er auf Altiplanos einmal mehr unter Beweis. Besonders schön ist die vokale Neuauflage von „4 a.m.“ (ursprünglich auf Spices), dass hier aufgrund des neuen Textes seiner Ehefrau auch einen neuen Titel erhält - „La Nuit Des Météores“. Im Mittelpunkt steht jedoch immer die unverwechselbare zarte Handschrift Bensusans auf den sechs Saiten seines Instruments.

Rolf Beydemüller

 

PIERRE BENSUSAN - Altiplanos


SHOOGLENIFTY
Live - Radical Mestizo

(Shoogle SHOOGLE04003)
10 Tracks, 59:54

Genauso war’s im Januar in der Carling Academy in Glasgow: Die Shoogs hotten instrumental tierisch ab, die Ansagen bzw. Worte zwischen den Stücken kann man zählen (wenn, dann nuschelt Frontfiddler Angus R. Grant) und das Publikum tanzt und tobt. Na ja, fast so war’s, denn der Sound auf der CD ist doch um Einiges besser als in der akustisch komplizierten Tanzhalle südlich des Clyde. Auf dem Tonträger kommt das Besondere der Band richtig zur Geltung, nämlich das keltisch-internationalistische Zusammenspiel von Bass, Drums und Gitarre auf der einen und Fiddle, Banjo und Mandoline auf der anderen Seite. So und nicht anders muss die Wahnsinnsenergie der sechs Herren auf der Bühne rüberkommen!

Mike Kamp

 

SHOOGLENIFTY - Live - Radical Mestizo


KIMMO POHJONEN & ERIC ECHAMPARD
Uumen

(Westpark 87116)
8 Tracks, 49:28

Kimmo Pohjonen hat das Akkordeon neu definiert. Der „Rammstein der Weltmusik“ hinterlässt auf seinen Konzerten entweder entsetzte oder entrückte Gesichter, unbeeindruckt bleibt hier niemand. Eric Echampard wird eher den Kenner des französischen Jazz aufhorchen lassen. Echampard gilt dort als einer der führenden Schlagzeuger mit Schwerpunkt auf der Improvisation. Die Lust an der Improvisation hat diese unterschiedlichen Künstler dann auch zusammengeführt. Ohne zu proben treffen sich Pohjonen und Echampard auf der Bühne, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Dieses Experiment fordert den Hörer und hält ihn in einer kaum aushaltbaren Spannung. Eins dieser seltenen Konzerte in zumeist ausverkauften Hallen wurde auf CD gebrannt. In Amiens wurde die fast 50-minütige Improvisation aufgezeichnet. Echampards improvisiertes Schlagzeugspiel ist weit entfernt vom Rhythmus des Vorgängeralbums Kluster. Man benötigt schon ausgesprochen offene Ohren, um mit den Ausbrüchen der beiden Musiker nicht überfordert zu werden. Hat man diese jedoch, erhält man mit Uumen einen Livemitschnitt eines der spannendsten Projekte unserer Zeit.

Chris Elstrodt

 

KIMMO POHJONEN & ERIC ECHAMPARD - Uumen


COSMIC DRONE
Cosmic Drone

(Eigenverlag FISD 001)
14 Tracks, 54:58

Stéphane Durand hat schon in der Gruppe Tapage bewiesen, dass er zur ersten Riege der französischen Kurbelschwinger zählt. Soundexperimente mit einer elektroakustischen Drehleier hat es zwar schon vor Cosmic Drone gegeben. Aber selten sind sie so gelungen, wie mit diesem unglaublichen Folkrocksound, den Durand mit seiner Siorat-Leier zusammen mit Vincent Viala (Keyboards), Thierry Leu (E-Bass) und Vincent Lemairie (Drums) eingespielt hat. Es beginnt mit einem Reggae („Afficionados“), der in eine psychedelische Rocknummer mündet. Allerdings stammen die geilen, übersteuerten Leadguitarsounds gar nicht von einer E-Gitarre, sondern von eine E-Leier, gespielt in einem Höllensound, der in punkto Effekten alles rausholt, was man mit einem solchen Instrument machen kann. Gitarren finden nicht statt auf der vorliegenden CD, außer in Form einer fett gespielten Bassgitarre, die zusammen mit einem Drummer der Extraklasse so funkig abgroovt, dass man seine Gliedmaßen kaum ruhig gehalten bekommt. Ein Keyboardsound u. a. von einem Fender Rhodes, der an die großen Supergruppen der 70er denken lässt. Das Ganze fußt sehr (!) frei auf französischen Tanzformen. Die meisten Kompositionen stammen von Durand und ja, sie sind tanzbar, allerdings auf einer völlig anderen Ebene als die traditionellen Tanzformen. Hier ist abzappeln angesagt. Und die Musik macht höllisch Spaß. Grandiose CD! To boldly go where no gurdy has gone before ...

Ulrich Joosten

 

COSMIC DRONE - Cosmic Drone


DIVERSE
Folk 2005. Music from Denmark

(The Danish Folk Council, MXPCD 0105)
18 Tracks, 68:05, mit engl. Infos

Einen Querschnitt durch die derzeitige dänische Folkszene will diese CD bieten, Instrumentalstücke, Gesangsaufnahmen, Tanzmusik, alles ist vorhanden, und gleich das erste Stück scheint auf eine riesige Spannbreite hinzuweisen: Karen & Helene (schade, dass die Infos im Beiheft gar zu kurz ausfallen, wäre ja nett gewesen, mehr über alle diese Leute zu erfahren - und darüber, wer die hier vertretenen Stücke verfasst hat, sind sie traditionell, sind sie was?) singen zwar Dänisch, vom Gesangsstil aber klingt es eher wie schottisches Puirt-a-beul. Irische und schottische Einflüsse sind sehr häufig zu bemerken, ansonsten können wir noch Jazz unter den Inspirationsquellen nennen (wenn der legendäre Povl Dissing zusammen mit dem nicht minder legendären Benny Andersen seine Stimme erhebt), eine Prise Balkan, einen Hauch Klezmer, und schließlich noch die rekonstruierte Wikingermusik der Gruppe Krauka, gesungen auf Altnordisch, wie sich das gehört. Es dominieren aber dänische traditionelle Stile, angereichert mit den erwähnten Einflüssen, und dabei nun wieder die fröhlichen. Ansonsten gibt die CD durchaus Rätsel auf, der Sänger der Gruppe Drones & Bellows (sehr dänischer Name übrigens) klingt wie ein Jörg Ermisch-Klon, aber auch das spricht ja nur für die Qualität dieses Tonträgers.

Gabriele Haefs

 

REAL TIME
Hell & High Water

(Big Sky 116)
12 Tracks, 55:03, mit engl. Texten

JUDY DINNING
Fine Times

(MWM MWMCDSP61)
10 Tracks, 38:26, mit engl. Texten und Infos

Real Time sind ein Quartett aus dem Norden Englands bzw. dem Süden Schottlands. Zentral agieren die Sängerin/Gitarristin Judy Dinning (u. a. ex-Jez Lowe & The Bad Pennies) und der Gitarrist/Sänger Kenny Spiers (ex-John Wright Band). Hinzu kommen der junge und talentierte Fiddler Iain Anderson und der Keyboarder Tom Roseburgh plus einige Aushilfen wie der ziemlich unbekannte ;-) Brian McNeill. Bei den zehn Songs und zwei Tunes ist die Gruppe nicht auf Innovationen aus, sondern auf stimmige Arrangements, die der wunderbaren Stimme von Judy Dinning entgegenkommen. Live wirkt diese Mischung aus Traditionals und zeitgenössischen Klassikern bestens, das kann ich bestätigen.

Stimmlich ist Judy Dinning solo in ähnlich guter Form wie mit Real Time, die Stimmung jedoch ist trotz einiger „trad. arr.“-Titeln und der akustischen Umsetzung der Mitmusiker wesentlich zeitgenössischer. Oder ist es nur die Slidegitarre, die diesen Eindruck vermittelt? Elemente von Blues und Rock sind deutlich hörbar. Mit den Themen der Lieder bleibt sie z. B. mit fünf Liedern nach Texten des Lokaldichters Joe Wilson aus dem 19. Jh. jedoch auf heimischem Terrain in Northumberland. Judy Dinnings Gesang ist es, der jeder Aufnahme, egal ob solo oder mit Gruppe, einen besonderen Glanz verleiht.

Mike Kamp

 

SHANTEL
Bucovina Club

(Essay Recordings AYCD06 / Indigo)
16 Tracks, 58:43, mit Infos

Clubmusik und Balkangroove, Sampling und Spielfreude liegen nicht weit auseinander. DJ Shantel hat es mit seinem in Frankfurt/Main gestarteten Bucovina Club (siehe Folker! 01/2004) bewiesen. „Die Zigeuner“, schreibt das Label, „hatten die Kunst des Sampelns erfunden. Auf ihrem langen Weg durch die Länder und Kulturen nahmen sie hier eine Hookline, dort einen Rhythmus oder ein Melodiefragment mit, um sie neu zusammenzusetzen und etwas ganz Eigenes daraus zu schaffen.“ Das lässt sich prima am Opener „Ya Rayah“ festmachen: Mit dem Song über den Schmerz des Exils landete der algerische Raï-Sänger Rachid Taha 1997 einen Nummer-eins-Hit in Frankreich; er findet sich aber zum Beispiel auch als „Agonija“ im Repertoire des Kocani Orkestar. Auf Shantels Album erklingt er in einem Mix, der im zum Exportschlager gewordenen „Bucovina Club“ garantiert für schweißtreibende Tanzabende sorgen wird. Für Folge zwei hat der DJ wieder zahlreiche hochkarätige Musiker gewinnen können, darunter: das Sandy Lopicic Orkestar, Mahala Rai Banda, Fanfare Ciocarlia und Goran Bregovic. Erneut sind die elektronischen (Dub-)Zutaten dezent. Ein rundum gelungenes Album - wenn auch Shantel fairerweise künftig nicht bloß seinen Namen aufs Cover setzen sollte: Nur fünf der 16 Stücke stammen aus seinem Bastelkasten, fünf sind Remixe, der Rest befindet sich auf Alben der versammelten Künstler. Aber wie war das: Der Jäger und Sampler nimmt hier etwas, dort etwas - und setzt es neu zusammen.

Frank Schuster

 

SHANTEL - Bucovina Club


SOLAS
Waiting For An Echo

(Shanachie 78060/Just records Babelsberg)
13 Tracks, 53:49, mit Texten

Auch wenn Seamus Egan, Winifred Horan, Mick McAuley, Deirdre Scanlan und Eamon McElholm nie wieder ein Bandfoto in Jeanshosen machen dürfen, muss man sagen, dass Solas mit ihrem siebten Album Waiting For An Echo ein weiteres Kleinod vorgelegt haben. Treibende Songs und Balladen, gesungen von Scanlan und McElholm, lösen fetzige Folksets ab. Dazwischen schleicht ein Streicher-Walzer wie ein Schmusekätzchen ums Bein. Der Sound ist transparent und gleichzeitig ungeheuer dicht, und die ganz große Stärke dieser Irish-Folk-Band liegt nach wie vor in der originellen Art zu arrangieren. Ob beim „Ballerina Jig“ oder beim „Coconut Dog“-Reel - beide aus der Feder Seamus Egans -, nie verschießen die begnadeten Musiker ihr Pulver auf einmal. Und auch wenn die Rhythmen und Harmonien beim Song „The Ploughman“ sich etwas komplizierter nach Fernost zu recken scheinen, bleibt das Augenmerk immer auf den Drive und Groove des Gesamten gerichtet. Ein Solas-Stück geht in die Beine. Dabei ist es eine Kleinigkeit, sich zu verzetteln.

Wunderschön ist auch der geschmeidige Fiddle-Einsatz Horans bei dem von ihr geschriebenen „Steven Campbell’s“-Reel. Elektronika findet man noch seltener als auf dem vorigen Album, obwohl Solas auch diese Herausforderung sicher geschmackvoll meistern könnten. Mit einem langsamen, etwas ans Sandmännchen erinnernden Walzer klingt das Album aus, und plötzlich ist sie da, die Assoziation: Wiener Kaffeehaus. Klein ist die Welt.

Elise Schirrmacher

 

SOLAS - Waiting For An Echo


ENOCH KENT
For The Women

(Second Avenue SAS 2010)
16 Tracks, 61:17, mit Infos und Texten

Einer der Gründerväter des schottischen Folkrevivals entwickelt mit über 70 ungeheure Energien; Enoch Kent legt die dritte CD in zwei Jahren vor. Der Titel ist Programm: Nachdem er (erzählt er im Beiheft) 50 Jahre lang Lieder gesungen hat, in denen Klassengegensätze und damit verbundene Ungerechtigkeiten angegriffen wurden, ging ihm auf, wie sexistisch viele davon sind. Und weil er solche Lieder nicht mehr singen mag, geht es auf dieser CD um Frauen, die sich nicht alles gefallen lassen müssen, sei es nun von ungetreuen Liebhabern oder von ausbeuterischen Arbeitgebern. Es sind aber durchaus keine unrealistischen Sonnenscheingeschichten, schließlich greift er auf das traditionelle schottische Material zurück, das sich durch realistischen Blick auf die Gegebenheiten auszeichnet, und es kommen auch Männer zu Wort, die sich dem sexistischen Tonfall der Liederszene verweigert haben, allen voran Robert Burns. Enoch Kents Stimme, die seit den Zeiten der legendären Exiles nichts an Kraft verloren hat, haut noch immer einfach vom Hocker, und dass die Instrumentalbegleitung sanfter geworden ist als vor 40 Jahren, wer wollte das beklagen? Schließlich macht das Alter doch tolerant und weise, und ohne den Exiles-eigenen Teufelsgeiger Bobby Campbell (der vor einigen Jahren gestorben ist) wäre die alte Wucht ja doch nicht aufzuholen. Also: Wunderbare CD eines wunderbaren Sängers, der pure Ohrenschmaus.

Gabriele Haefs

 

ENOCH KENT - For The Women


MUCHACHITO BOMBO INFIERNO
Vamos Que Nos Vamos

(Exil/Indigo 5908-2)
18 Tracks, 50:11; mit Texten

„Die beste Nachricht aus Spanien seit der Abwahl von José Maria Aznar“, kommentierte Francis Gay von WDR Funkhaus Europa die erste CD dieser neuen Combo aus Barcelona. Neben den üblichen Barna-Mestizo-Ska-Punk-Rock-Flamenco-Reggae-Cumbia-Klängen, bringen die Jungs um Jairo Perera Viedma alias Muchachito ihr Publikum mit rasenden und gut platzierten Bläsereinsätzen zum Kochen. Muchachitos verlebte Stimme singt Pepe-Cavalho-like vom Leben in der Unterwelt: Drogen, Gangster, Huren und Loser schlagen sich in schmierigen Pinten die Nacht um die Ohren oder die Köpfe ein. Lieber gibt man die Freundin auf, als dem Tabak zu entsagen, aber die Flamme geht sowieso schon mit einem anderen. Na denn Vamos Que Nos Vamos - „Auf, packen wir’s!“ Hector Bellino treibt an der Percussion, El Tito Carlos greift in die Tasten, „El Lere“ prügelt den (Kontra-)Bass und die Bläser formieren sich stürmisch um den Hurrican Josué „El Ciclón“ García. Obwohl der Schwerpunkt der Scheibe eher auf tanzbarer Mestizomusik liegt, gibt es auch satten Sunshine Reggae, akustischen Gitarrenblues, Surfgitarrengeschrabbel, Rockabilly und Swing. Musikalisch nicht besonders innovativ, aber mitreißend überzeugend. Auch Ojos de Brujo-Sängerin Marina la Canillas ließ es sich nicht nehmen, im Duett mit dem Muchachito über eine gescheiterte Beziehung zu singen. Um die Beziehung der beiden geht es dabei allerdings nicht, erschien doch die CD des Muchachito Bombo Infierno als erste „Fremdproduktion“ auf dem Label Ojos de Brujos, der „Fábrica de Colores“.

Angela Isphording

 

MUCHACHITO BOMBO INFIERNO - Vamos Que Nos Vamos


DÄNU BRÜGGEMANN
Eis für e Blues und di

(Zytglogge 4091)
13 Tracks, 53:58, mit schweizerdeutschen Texten

Dänu Brüggemann ist ein Reisender. Einerseits reist er schon lange auf der musikalischen Route 66 Amerikas - auch sein neuestes Werk lehnt sich an den Blues, Americana und American Folk an. Andererseits liebt es Brüggemann, Reisen in die Tiefe der Seele seiner Mitmenschen zu unternehmen. Ist er der Essenz dieser Charaktere auf der Spur, schießt er Momentaufnahmen ihres Seelenzustands. Wo er die Akteure, wie etwa auf Bogarts, früher noch dunkelschwarz und bitterböse malte, zeichnet er auf Eis für e Blues und di liebevolle Charakterdarstellungen. Seine Liebe gilt den Menschen auf der Schattenseite, den Säufern, den zu kurz Gekommenen, seelisch Geschundenen. Die mögen zwar alle den Blues haben, aber ihr Blues verleiht ihnen auch Kraft. „Lea“ zum Beispiel, deren Ex ihr die Existenzberechtigung absprach, erholt sich langsam unter dem Olivenbaum. Dänu Brüggemanns Lieder zeigen eine Stimmung, ein Bild, mehr nicht. Gutgemeinte Durchhalteparolen und Lösungsansätze sind nicht seine Sache. Musikalisch werden die Songs kongenial umgesetzt vom Produzenten und Gitarristen Richard Köchli. Köchli ist, wie Brüggemann, schon lange Jahre der amerikanischen Rootsmusik auf der Spur. Gemeinsam schaffen sie Lieder, die tragen und auch Spaß machen für Ohren, die dem Schweizerdeutschen nicht mächtig sind. Dänu Brüggemann beweist mit dieser CD aufs Neue, dass er einer der stärksten Schweizer Liedermacher ist.

Martin Steiner

 

DÄNU BRÜGGEMANN - Eis für e Blues und di


BORIS KOVAC & LA CAMPANELLA
World After History - A Pannonian-Mediterranean Round-Trip

(Piranha 1997 / Indigo 5883-2)
11 Tracks, 52:37, mit engl. Infos

Die Apokalypse ist vorbei. Das Karussell des Lebens dreht sich weiter - wie auf dem Cover abgebildet. Hatte Boris Kovac noch zu Beginn des dritten Jahrtausends mit seinem Orchester LaDaABa (La Danza Apocalypsa Balcanica) zum „Last Balkan Tango“ aufgespielt, stimmt der serbische Alt- und Sopran-Saxophonist nun mit seiner neuen Combo La Campanella weniger melancholische, dafür mehr mediterran-ausgelassenere Töne an. Die Wirren des Jugoslawienkriegs sind (einigermaßen) vorbei, wir befinden uns nun in einer „Welt nach der Geschichte“. Oder in den Linernotes-Worten Kovacs: „Die Welt ist kein schöner Ort mehr zum Leben, aber es ist nicht gut, zu weinen und sich der Hoffnungslosigkeit preis zu geben.“ Nach einigen Jahren des Exils in Italien, Slowenien, Österreich und Kanada ist er nun nach Serbien zurückgekehrt. In einem kleinen Bergdorf in der Vojvodina hat er sich ein eigenes Studio eingerichtet und hier hat der versierte Komponist, der schon Musiken für klassische Orchester und Theaterensembles schrieb, die Stücke arrangiert. Herausgekommen sind komplexe, kammermusikartige Kompositionen, mal mit Béla-Bartok-Touch, mal mit Balkanjazz-Hauch, zart und fragil, gewoben aus Sax, Akkordeon, klassischer Gitarre, Kontrabass, Streichquartett und Bassklarinette. Herr Kovac, wir warten auf die Fortsetzung.

Frank Schuster

 

BORIS KOVAC & LA CAMPANELLA -
World After History - A Pannonian-Mediterranean Round-Trip


BNB
Ein Song Frå Dei Utsungne Stunder

(Lindberg Lyd, 2 L 24)
15 Tracks, 53:11

Der Bandname BNB setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben ihrer Mitglieder: Berit Opheim, Nils Økland, Bjørn Kjellemyr. Über die Sängerin Berit Opheim verrät das ansonsten infofreie Cover, dass sie sich „in den meisten musikalischen Arenen zurechtfindet“, was sicher auch für die Kollegen gilt, Økland spielt neben Hardingfele noch andere Geigentypen, Kjellemyr kommt vom Jazz, und über Herrn Økland erfahren wir immerhin, dass er, „anders als die meisten anderen in der Volksmusik verankerten Interpreten“ über die „Fähigkeit zur Improvisation und Erneuerung verfügt“, so eine Behauptung muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen. Aber es stimmt, die ganze Bande improvisiert so munter drauflos, dass selbst bei traditionellen Stücken (wie einem aus Hardanger und einem von Agnes Buen Garnås übernommen Runenlied) die traditionelle Herkunft höchstens noch zu ahnen ist. Einige Stücke stammen von den Bandmitgliedern, sie haben hübsche Titel („Libelle“, „Paulista“), über die wir gern mehr wüssten, alles ist gut und professionell gemacht und klingt wie der derzeit im Norden übliche Jazz-beeinflusste Einheitsbrei. Was schade ist für die Leute, die diesen Brei eben nicht so ganz prickelnd finden, zumal Frau Opheims Stimme oft ziemlich untergeht, und das ist ein arger Verlust.

Gabriele Haefs

 

ROBB JOHNSON
A Beginner’s Guide

(Irregular Records IRR057)
18 Tracks, 65:36, mit engl. Infos

Den Engländer Robb Johnson einen Singer/Songwriter zu nennen, wäre wegen der Schwemme von mittelmäßigen Protagonisten in diesem Genre zu unpräzise. Er ist einer der viel zu raren Menschen, die Lieder schreiben und singen, die einen linken politischen Standpunkt beziehen, die jedoch ohne Parolen auskommen, das Private nicht vernachlässigen und überdies ins Ohr gehen. Diese Arbeit leistet er seit Jahrzehnten, abwechslungsreich und zeitgenössisch arrangiert und dokumentiert auf zahllosen CDs, live jedoch meistens einfach mit akustischer Gitarre und Stimme. Das machen viele Künstler so, doch nur die wirklich guten schaffen es, ins Studio zu gehen, 18 Stücke quasi „live“ einzuspielen und so einen Tonträger zu produzieren, der von vorne bis hinten spannend klingt. Robb Johnson ist ein solcher Künstler.

Mike Kamp

 

ROBB JOHNSON - A Beginner’s Guide


DIVERSE
Discopolis 5000

(Boa/Galileo 24002004)
17 Tracks, 72:38

Die zweite CD der Weltmusiksendung Discopolis auf Radio 3 España ist ein Bonbon für alle Spanien- und Weltmusikfans. Hier trifft die Crème de la Crème der spanischen Liedermacherszene auf exzellente Musiker anderer Breitengrade wie die Hijas del Sol aus Äquatorialguinea, der Armenier Djavan Gasparian, die Bob-Marley-Begleiterin Marcia Grifiths, Batuko Tabanka und Béla Fleck aus New York, und viele mehr. Es ging den Machern von Discopolis 5000 nach Aussage des Obermachers José Miguel López, darum, „den discopoliten Charakter der Toleranz und des multikulturellen Zusammenlebens zu definieren“. Was arg konstruiert wirkt, ist in seiner musikalischen Umsetzung eine echte Bereicherung. Die raue Stimme des Flamencosänger Enrique Morente erhält durch den bulgarischen Frauenchor eine himmlische Note, Ana Beléns und Victor Manuels Welthit „Contamíname“ bekommt durch das Wolof-Ensemble SAF eine sehr berührende neue Dynamik, während beim Zusammenspiel des galicischen Dudelsacks von Xosé Manuel Budiño und der Geige des Bretonen Jacky Molard die 1.500 km zwischen den beiden keltischen Enklaven spielend überwunden werden. Traumhaft auch die Klanglandschaften des Armeniers Djavan Gasparian und der galicischen Folkband Berrogüeto. Eine wahrhaft horizonterweiternde Arbeit, die mainstreamig genug ist, um ein breiteres Publikum zu erreichen.

Angela Isphording

 

DIVERSE - Discopolis 5000

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