back Noten ohne Quoten:
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Nikolaus Gatter


HANNES WADER
Wein auf Lebenszeit. Hannes Wader liest Kurt Kusenberg

(pläne 88907)
6 Tracks, 77:07

... und es wechseln die Zeiten

(pläne 88906)
6 Tracks, 56:51, mit Texten und Infos

Man kennt Kusenberg (1904-1983), der sich selbst einen "Miniaturisten" nannte, als Übersetzer der Chansons von Jacques Prévert. Seine eigenen Texte, hier ohne Zwischentöne, Akzente oder Überleitungen dargeboten, streifen ebenfalls das Märchenhafte und Groteske, funktionieren aber - mündlich vorgetragen - nicht alle so gut wie das Titelstück. Mit der gleichzeitig erschienenen Lieder-CD ließe sich jede shopping mall umsatzfördernd beschallen. "Neo-Nazis singen meine Lieder", klagt Wader, sie lassen sich "offenbar so, wie sie sind, in das Gegenteil ihrer Bedeutung verkehren" - schuld ist nicht Mangel an Eindeutigkeit, sondern glättende Kuschelästhetik. Phänomene wie Irakkrieg und Neonazismus werden zum Anlass linker Gemütserregung, über die ein Soli-Publikumschor hinweglullt. Eingeölt in schmeichelweiche Orchestrierung verlieren auch die knorrigsten Barockverse (Gryphius, Hofmannswaldau) jede Widerspenstigkeit.

 


JOANA
Kopfstand

(WOLKENstein CDJ 022)
13 Tracks, 52:49, mit Texten

Fülle des Wohllauts und Arrangementfinessen können die welthaltigen, erfahrungsgesättigten Lieder Joanas nicht korrumpieren; Naziplagiatoren bieten sie keine fette Beute. Spielerischer Umgang mit Fremdworten und Neologismen, verfremdende Mundart und schwarzer Humor durchbrechen triviale Erwartungsmuster. Die "Villa in lila"-Idylle ("Als hätt' ich Flügel") endet abrupt im "Wohnblock, fünfte Etage", und wenn Joana Krieg thematisiert, verzichtet sie auf Betroffenheitsdusel und Kehrreimschmus. Stattdessen werden ganz unvoyeuristisch, zu experimenteller Perkussionsbegleitung, Fakten eingestreut wie jenes, wonach ein MG in manchen Breitengraden billiger sei als ein Huhn ("Kinderarmee"). Auch Joana beschäftigt sich - reichlich verfrüht - mit der Vergänglichkeit irdischen Seins ("Wenn ich gehen muss"), aber nicht auf dem Umweg über barocke Lyrik, sondern z. B. im nervenzerfetzenden Ambiente eines Rehaklinik-Aufenthalts.

 

PIGOR
Pigor singt - Benedikt Eichhorn muss begleiten (und Ulf), Volumen 4

(tacheles! RD 2433224)
14 Tracks, 52:35, mit Texten

Dem Freund die Umzugshilfe verweigern, an der Wursttheke übersehen werden, die Nachbarn zu laut, die Amerikaner zu dick - auch ihr viertes Album füllen Sänger, Zwangsbegleiter und der nachgeschobene Ulf mit vergleichsweise harmlosen Versuchungen und Peinlichkeiten des Studentenalltags und politisieren allenfalls auf dem Niveau von Mensagelaber. Die bei Politikern beliebten denunziatorischen NS-Zuschreibungen zieht man durch den gleichen faden Kakao wie das Entschuldigungsgestammel ertappter Vergleichssünder. Sehen wir die selbsternannte "SS der deutschen Kleinkunst" demnächst in der Wehrmachtskantine blödeln? Hochform beweist das jazz-inspirierte, syntaxstrapazierende Sprechgesangsduo mit "Lärmschutzgesetz" und mit der Parodie "Hauptbahnhof" (mit dem Hauptbahnhof von Paris, den es bekanntlich nicht gibt, ist das Paradies deutscher Brel-Imitatoren und "Chansonschnepfen" gemeint); der Rausschmeißer "Rheinländer" ist auch nicht reizlos.

 

WENZEL
Himmelfahrt

(Conträr 36)
15 Tracks, 59:35, mit Texten

Wenzel siedelt seine Balladen gern vor maritimer Kulisse an: Da machen es Matrosen "mit der Hand", die "Brandung schlägt die Schiffe in die Häfen", und selbst die Vision einer Dritte-Welt-Invasion ("Sie werden kommen") hört auf den Refrain "Seemannsbraut ist die See". Die Bordkapelle kann mit Bass, Schlagzeug, Perkussion, Gitarren und fünf verschiedenen (!) Bläsern aufwarten. Doch all sein Spielzeug gleitet dem Melancholikus aus der Hand, der nachts nicht einschläft und unerfüllbare "23 Wünsche" aufzählt. Sein eindrücklichstes Lied - die "für B." angestimmte Exil-Elegie "Svendborg (Skovsbo Strand)" -, nimmt sich wie eine formale Attrappe aus, weil der ideologische Motor der Brecht-Zyklen, ihr zeitkritisch-dialektisches Mahlwerk fehlt. Und an dem vereinsamten Zufluchtsort des Schriftstellers ist nichts geblieben von seiner Utopie, nichts von der tödlichen Bedrohung; übrig blieb nur ein vom Signifikanten entleertes Emblem.

 

MANFRED MAURENBRECHER
Ende der Nacht

(Lamu, ISBN 3-935099-12-6)
12 Tracks, 53:30, mit Texten

Stünde Edward Hoppers Nachtcafé in Berlin, die Jukebox würde Maurenbrecher spielen: verlorene Klänge in prunkvollen Ruinen, Anekdoten aus abgewirtschafteten Idyllen, Anleihen bei Schlager und Trivialkultur, dazu sieht sich dieser liebenswerte Schlamper auf dem Polenmarkt um und nimmt Abschied von der Pfanddose, wirbt für Unfertiges, Provisorisches, Verschleifungen - gegen solche, die "Besser dran" und härter drauf sind. Monophoner Tom-Waits-Raspelsound und unkoordiniertes Pianoklimpern haben Charme, doch wird niemand die Scheibe von vorn nach hinten herunterhören; sie lädt eher ein zu zerstreuendem Zapping.

 

GÖTZ WIDMANN
zeit

(Ahuga!/Alive 042564 011814)
13 Tracks, 50:24; mit Texten

Widmann singt, wie er spricht, meist in Lagen, die ihm liegen (in schwachen Momenten freilich sackt er ab und gerät in ironisch-proletarisierendes Rio-Reiser-Lallen oder Leonard-Cohen-mäßiges Brummen). Seine Songtexte bestehen aus vollständigen, geraden Hauptsätzen und reimen unbeirrt "geil" auf "Teil", "Maultier" auf "Faultier", "Frau" auf "arme Sau" und "Moral" auf "scheißegal". Zusammen mit einer minimalistischen, aber nicht unflotten Gitarrenbegleitung wird daraus ein entspanntes, kunstbewusst-lässiges Parlando, das an die selige Epoche der WG- und Lagerfeuer-Liedermacherei erinnert.

 
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