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HANNES WADER
Wein auf Lebenszeit. Hannes Wader liest Kurt Kusenberg
(pläne 88907)
6 Tracks, 77:07
... und es wechseln die Zeiten
(pläne 88906)
6 Tracks, 56:51, mit Texten und Infos
Man kennt Kusenberg (1904-1983), der sich selbst einen "Miniaturisten" nannte,
als Übersetzer der Chansons von Jacques Prévert. Seine eigenen Texte, hier
ohne Zwischentöne, Akzente oder Überleitungen dargeboten, streifen ebenfalls
das Märchenhafte und Groteske, funktionieren aber - mündlich vorgetragen -
nicht alle so gut wie das Titelstück. Mit der gleichzeitig erschienenen
Lieder-CD ließe sich jede shopping mall umsatzfördernd beschallen. "Neo-Nazis
singen meine Lieder", klagt Wader, sie lassen sich "offenbar so, wie sie sind,
in das Gegenteil ihrer Bedeutung verkehren" - schuld ist nicht Mangel an
Eindeutigkeit, sondern glättende Kuschelästhetik. Phänomene wie Irakkrieg und
Neonazismus werden zum Anlass linker Gemütserregung, über die ein
Soli-Publikumschor hinweglullt. Eingeölt in schmeichelweiche Orchestrierung
verlieren auch die knorrigsten Barockverse (Gryphius, Hofmannswaldau) jede
Widerspenstigkeit.
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JOANA
Kopfstand
(WOLKENstein CDJ 022)
13 Tracks, 52:49, mit Texten
Fülle des Wohllauts und Arrangementfinessen können die welthaltigen,
erfahrungsgesättigten Lieder Joanas nicht korrumpieren; Naziplagiatoren bieten
sie keine fette Beute. Spielerischer Umgang mit Fremdworten und Neologismen,
verfremdende Mundart und schwarzer Humor durchbrechen triviale
Erwartungsmuster. Die "Villa in lila"-Idylle ("Als hätt' ich Flügel") endet
abrupt im "Wohnblock, fünfte Etage", und wenn Joana Krieg thematisiert,
verzichtet sie auf Betroffenheitsdusel und Kehrreimschmus. Stattdessen werden
ganz unvoyeuristisch, zu experimenteller Perkussionsbegleitung, Fakten
eingestreut wie jenes, wonach ein MG in manchen Breitengraden billiger sei als
ein Huhn ("Kinderarmee"). Auch Joana beschäftigt sich - reichlich verfrüht -
mit der Vergänglichkeit irdischen Seins ("Wenn ich gehen muss"), aber nicht
auf dem Umweg über barocke Lyrik, sondern z. B. im nervenzerfetzenden Ambiente
eines Rehaklinik-Aufenthalts.
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PIGOR
Pigor singt - Benedikt Eichhorn muss begleiten (und Ulf), Volumen 4
(tacheles! RD 2433224)
14 Tracks, 52:35, mit Texten
Dem Freund die Umzugshilfe verweigern, an der Wursttheke übersehen werden, die
Nachbarn zu laut, die Amerikaner zu dick - auch ihr viertes Album füllen
Sänger, Zwangsbegleiter und der nachgeschobene Ulf mit vergleichsweise
harmlosen Versuchungen und Peinlichkeiten des Studentenalltags und
politisieren allenfalls auf dem Niveau von Mensagelaber. Die bei Politikern
beliebten denunziatorischen NS-Zuschreibungen zieht man durch den gleichen
faden Kakao wie das Entschuldigungsgestammel ertappter Vergleichssünder. Sehen
wir die selbsternannte "SS der deutschen Kleinkunst" demnächst in der
Wehrmachtskantine blödeln? Hochform beweist das jazz-inspirierte,
syntaxstrapazierende Sprechgesangsduo mit "Lärmschutzgesetz" und mit der
Parodie "Hauptbahnhof" (mit dem Hauptbahnhof von Paris, den es bekanntlich
nicht gibt, ist das Paradies deutscher Brel-Imitatoren und "Chansonschnepfen"
gemeint); der Rausschmeißer "Rheinländer" ist auch nicht reizlos.
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WENZEL
Himmelfahrt
(Conträr 36)
15 Tracks, 59:35, mit Texten
Wenzel siedelt seine Balladen gern vor maritimer Kulisse an: Da machen es
Matrosen "mit der Hand", die "Brandung schlägt die Schiffe in die Häfen", und
selbst die Vision einer Dritte-Welt-Invasion ("Sie werden kommen") hört auf
den Refrain "Seemannsbraut ist die See". Die Bordkapelle kann mit Bass,
Schlagzeug, Perkussion, Gitarren und fünf verschiedenen (!) Bläsern aufwarten.
Doch all sein Spielzeug gleitet dem Melancholikus aus der Hand, der nachts
nicht einschläft und unerfüllbare "23 Wünsche" aufzählt. Sein eindrücklichstes
Lied - die "für B." angestimmte Exil-Elegie "Svendborg (Skovsbo Strand)" -,
nimmt sich wie eine formale Attrappe aus, weil der ideologische Motor der
Brecht-Zyklen, ihr zeitkritisch-dialektisches Mahlwerk fehlt. Und an dem
vereinsamten Zufluchtsort des Schriftstellers ist nichts geblieben von seiner
Utopie, nichts von der tödlichen Bedrohung; übrig blieb nur ein vom
Signifikanten entleertes Emblem.
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MANFRED MAURENBRECHER
Ende der Nacht
(Lamu, ISBN 3-935099-12-6)
12 Tracks, 53:30, mit Texten
Stünde Edward Hoppers Nachtcafé in Berlin, die Jukebox würde Maurenbrecher
spielen: verlorene Klänge in prunkvollen Ruinen, Anekdoten aus
abgewirtschafteten Idyllen, Anleihen bei Schlager und Trivialkultur, dazu
sieht sich dieser liebenswerte Schlamper auf dem Polenmarkt um und nimmt
Abschied von der Pfanddose, wirbt für Unfertiges, Provisorisches,
Verschleifungen - gegen solche, die "Besser dran" und härter drauf sind.
Monophoner Tom-Waits-Raspelsound und unkoordiniertes Pianoklimpern haben
Charme, doch wird niemand die Scheibe von vorn nach hinten herunterhören; sie
lädt eher ein zu zerstreuendem Zapping.
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GÖTZ WIDMANN
zeit
(Ahuga!/Alive 042564 011814)
13 Tracks, 50:24; mit Texten
Widmann singt, wie er spricht, meist in Lagen, die ihm liegen (in schwachen
Momenten freilich sackt er ab und gerät in ironisch-proletarisierendes
Rio-Reiser-Lallen oder Leonard-Cohen-mäßiges Brummen). Seine Songtexte
bestehen aus vollständigen, geraden Hauptsätzen und reimen unbeirrt "geil" auf
"Teil", "Maultier" auf "Faultier", "Frau" auf "arme Sau" und "Moral" auf
"scheißegal". Zusammen mit einer minimalistischen, aber nicht unflotten
Gitarrenbegleitung wird daraus ein entspanntes, kunstbewusst-lässiges
Parlando, das an die selige Epoche der WG- und Lagerfeuer-Liedermacherei
erinnert.
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