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Platten-Tipp:
"Bucovina Club" |
Der Osten wird tanzbar. Nach der Berliner "Russen-Disko" wird nun die Musik der ehemaligen Ostblock-Satellitenstaaten für den Tanzboden entdeckt. Der DJ und Electronica-Musiker Shantel aus Frankfurt am Main organisiert seit geraumer Zeit in der Tanzveranstaltungsreihe "Bucovina Club" gegen jeden Clubmusic-Trend Partys mit Blaskapellen- und Gipsy-Musik Osteuropas und präsentiert dabei auch entsprechende Orchester live.
Von Hans-Jürgen Lenhart
Manche mögen Blaskapellen skeptisch betrachten aufgrund von Erfahrungen
mit ziemlich dumpfer Marsch- und Bierzeltmusik teutonischer Prägung.
Die Blechmusikklänge aus Osteuropa haben jedoch damit wenig gemeinsam,
beinhalten sie doch äußerst komplizierte Rhythmen und weisen
Synkopierungen wie im Jazz auf. Ferner werden sie meist durch ein wahnwitziges
Tempo bestimmt, oftmaligen Wechsel des Metrums und sie weisen leichte Dissonanzen
auf. Es ist eine kunstvolle Musik und sie hat zudem noch vorzüglich
schmachtende Sänger im Angebot. Nun wird man sich fragen, wie ein
etablierter Electronica- und
Clubmusiker auf die Idee kommt, sich derartiger Musik abseits
programmierbarer Beats zu widmen. Doch die Beats per Minute waren eh nie
das Maß aller Dinge für DJ und Musikproduzent Stefan Hantel alias
Shantel. Dessen Bucovina Club findet auch nicht vor sittsam lauschenden
Weltmusik-Connaisseurs statt, sondern im schweißgetränkten Foyer
des "schauspielfrankfurt". Besucher sind eingefleischte Raver wie auch Mitglieder
ethnischer Gemeinden aller Nationen.
Der Wechsel von Electronica zum Balkan-Sound kam für Shantel nicht von ungefähr. Auf einer Reise in die Bucovina, einer ukrainischen Provinz an der Grenze zu Rumänien, ging er den Spuren seiner Großeltern nach, die aus der zentralen Stadt Czernovitz stammen. Beeindruckt von der dort immer noch lebendigen traditionellen Kultur kam er auf die Idee, diese Art Musik in ihrer ursprünglichen Atmosphäre nach Frankfurt zu bringen. Dabei kam ihm entgegen, dass das "schauspielfrankfurt" gerade nach einem Konzept für einen Event suchte, der über die klassische Theaterarbeit hinausgehen sollte, ohne auf einen inszenatorischen Charakter zu verzichten. Der daraufhin ins Leben gerufene "Bucovina Club" als Veranstaltungsreihe irgendwo zwischen Live-Konzert, Privatfeier und DJ-Tanzparty wurde ein Überraschungserfolg, der inzwischen Kultcharakter besitzt und bis zu 3.000 Besucher anzieht.
Das im vergangenen Jahr dazu erschienene Album mit den bewährten
Stücken der Veranstaltung liest sich wie ein Who 's Who
osteuropäischer Folklore. Die Blaskapellen kommen eher aus Mazedonien,
Serbien und Moldawien, während die Musik der rumänischen Wallachei
von Akkordeon, Kontrabass und Geige geprägt ist. Der bosnische Rockstar
Goran Bregovic (s. Folker! 2/2003), der mit seinen Soundtracks in den Filmen
Emir Kusturicas mit als Erster eine Art Balkan-Welle auslöste, bricht
hier mit schepperndem Gebläse Geschwindigkeitsrekorde und das im Bucovina
Club live besonders erfolgreiche Boban Markovic Orkestar aus Serbien ließ
sich von Shantel gar remixen. Doch nicht nur Blaskapellen des Balkan sind
auf dem Album vertreten, sondern auch Roma-Gruppen der Wallachei: Taraf de
Haidouks aus Rumänien schmachten da z. B. über den Absinth. Inzwischen
war auch schon die bekannte "Russendisko" Wladimir Kaminers zu Gast im Bucovina
Club. Shantel selbst experimentiert auf dem Album mit den Parametern der
Clubmusik. Einer HipHop-Ballade gibt er mit einem Blaskapellen-Loop den
Balkan-Swing. Im Stück "Bucovina" bringt er eine bekannte Calypso-Nummer
im Stil einer swingenden rumänischen Truppe, wozu er noch einen zweiten
Mix als Dub-Version liefert, und den rumänischen Fanfare Ciocarlia verleiht
er einen Flamenco-Touch. Sogar aus New York kommen Beiträge wie vom
russischen Roma-Sänger Gogol Bordello mit seinem exzessiven Polka-Punk
oder aus Sizilien mit der Banda Ionica, einer Blaskapelle aus dem Umfeld
Manu Chaos. Im Folker!-Gespräch erklärt Shantel Hintergründe
dieser Idee von
Gegenkultur.
Wer erfolgreich im Electronica-Bereich tätig ist, dem unterstellt man einen musikalischen Geschmack, der trotz familiärer Verwurzelung in der Bucovina nicht so ohne Weiteres etwas mit der Musik Osteuropas zu tun hat. Wie ist es zu dieser Verbindung gekommen?
Ich war ja nie einer, der nur die typische DJ-Musik auflegt. Ich habe schon immer auf meinen Reisen alles Mögliche an lokaler Musik gekauft, ohne gleich einen Verwertungszusammenhang damit zu verbinden. Aber ich habe in all den Jahren als DJ immer ungewöhnliche Musik aus anderen Ländern aufgelegt, drunter gemischt, thematisch gebündelt. Es war nicht so, dass ich da einen dramatischen Wechsel von heute auf morgen vorgenommen hätte.
Welcher Art ist das Publikum im Bucovina Club?
Das Publikum ist gemischt und das ist auch so gewollt. Einerseits sind es Deutsche, die neugierig geworden sind, die sich durch das Emotionale wieder ansprechen lassen wollen, was programmierte Musik nicht bieten kann. Doch kommen aus den slawischen Volksgruppen ganze Generationen zu uns. Sie fühlen sich damit auch anerkannt. Frankfurt ist sehr multikulturell, da tauchen letztlich Menschen aus allen Ländern auf. Die Musik verbindet nicht nur Generationen, sondern auch Volksgruppen. Einmal hatten wir Security-Leute aus Kroatien, als das serbische Boban Markovic Orkestar spielte. Da gab es Ärger und sie weigerten sich zu arbeiten. Doch wir konnten sie überreden und später war das alles für den Moment jedenfalls vergessen. Sie feierten genauso mit. In diesen Ländern feiert man sowieso ganz anders, das wirkt sich natürlich auf die Atmosphäre aus. Die Bands wissen jedes Publikum zu nehmen, marschieren durch den Saal usw. Manche Besucher reagieren dann sogar so, dass sie Freunde per Handy anrufen und es in Richtung Boxen halten, um sie daran teilnehmen zu lassen. Andere werfen Geldscheine in die Luft und lassen sie über die Köpfe regnen.
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