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"Tribus Hispanas" (Musica sin fin, 1998) |
Wenn die Sackpfeife mit dem poetischen Namen Dulzeina, das Tamburin,
das archaische Steinbockhorn arabischer Herkunft namens
Alboca
oder der baskische Dudelsack Gaita erklingen, dann geht dem Spanier Eliseo
Parra das Herz auf: Hat er es sich doch zur Lebensaufgabe gemacht, alte Melodien
seiner Heimat aus der Versenkung zu holen und ihnen neues Leben einzuhauchen.
Bei seiner Suche nach traditionellen Weisen war er selbst überrascht,
wie reich Hispaniens Folklore ist und dass sie in einigen Regionen noch
äußerst lebendig scheint.
Von Suzanne Cords
Wenn Eliseo Parra aus dem Fenster seiner Wohnung im Herzen Madrids schaut und weit und breit nicht anderes sieht als Häuserzeilen, dann denkt er manchmal an früher zurück. Damals, als die Felder sich bis zum Horizont erstreckten und nicht hupende Autos, sondern zwitschernde Vögel ihn morgens weckten. Damals, als er noch ein kleiner Junge im Dörfchen Sardón de Duero war und seine Mutter und seine Tanten beim Bettenmachen sangen und auch beim Kochen noch ein Liedchen auf den Lippen hatten, ebenso beim Wäschewaschen, beim Wienern des Holzbodens, beim Gang zum Bäcker. "Tja", erinnert sich der Spanier an seine Kindheit, "eigentlich haben die Menschen früher immer gesungen. Zu jedem Anlass gab es das passende Lied, von der Geburt bis zum Tod. Es war nicht wichtig, dass man eine schöne Stimme hatte, der Gesang gehörte einfach zum Leben dazu."
Eben diese Alltagslieder haben es Eliseo Parra angetan: Lieder der
Urururgroßeltern, die von Generation zu Generation meist mündlich
überliefert wurden. Die Großmutter sang sie der Tochter vor, der
Uropa dem Enkel, der wiederum seinen Kinder und so fort - bis ins letzte
Jahrhundert hinein. Doch seitdem der Globus immer kleiner wird, die Industrie
den Einheitsgeschmack vorgibt und die Jugend im Baskenland zu den gleichen
Klängen tanzt wie die Teenies in Tokio oder Rio de Janeiro, seitdem
sind diese oftmals Jahrhunderte alten Lieder vom Vergessen bedroht. Genau
das will Eliseo Parra verhindern. "Nicht irgendwelche Kunstformen, sondern
die alltäglichen Dinge erzählen von unseren Wurzeln und unserer
Vergangenheit. Sie sprechen unsere Gefühle an und sind ein Teil von
uns", ist Parra überzeugt. "Wir dürfen nicht zulassen, dass sie
ihre Seele verlieren und nur noch als aussterbendes
Folkloreprodukt
auf der Bühne zu bestaunen sind."
Nicht immer hat sich der mittlerweile über 50-jährige Spanier so vehement auf sein hispanisches Erbe besonnen. Auch er frönte als Jugendlicher dem Rock, imitierte die Beatles und die Rolling Stones, begeisterte sich dann für Jazz und Salsa, streifte den Flamenco, stieß dabei auf heimische Klänge und fand sich plötzlich inmitten einer neuen musikalischen Welt wieder. "Spanien hat wirklich eine überaus reiche Folklore", betont Eliseo Parra. "Das hat mich unheimlich fasziniert. Wahrscheinlich liegt es daran, dass so viele Eroberer hier waren, ob Römer, Griechen, Phönizier, Araber oder die Germanen, jeder hat auch musikalische Einflüsse hinterlassen. Die Musik aus Andalusien hat daher auch nichts mit der aus Galicien oder aus Mallorca oder der Estremadura gemein. Ich wage sogar zu behaupten, dass nirgends auf der Welt auf einem so kleinen Raum wie bei uns in Spanien eine derartige Vielfalt an Musikstilen existiert."
Das hat Eliseo Parra nicht irgendwo nachgelesen, sondern selber erforscht. Zwölf Jahre lang ist er von Norden nach Süden und von Osten nach Westen kreuz und quer durchs Land gereist, immer auf der Suche nach alten Liedern. Er war im Baskenland, in Galicien, in der Estremadura, in Asturias, auf Fuerteventura und Mallorca. "Ich habe meinen Rucksack geschnürt, einen kleinen Recorder eingepackt und habe in gottverlassenen Dörfern an die Tür geklopft", erzählt er. "Manchmal hatte mich ein Freund oder der Freund eines Freundes schon angekündigt, aber meistens kannte ich niemanden. Doch die Leute waren immer sehr freundlich: "Tja, wissen Sie, ich kenne solche Lieder nicht, aber fragen Sie doch mal da vorne in dem gelben Haus mit den vielen Blumen davor. Da wohnt eine alte Frau, die singt sehr viel."
Am ergiebigsten, so hat Parra festgestellt, ist der Liederschatz der Leute
über 90, aber von denen gibt es naturgemäß nicht mehr allzu
viele.
Daher drängt die Aufgabe, von ihnen zu lernen: "Oft wissen sie gar nicht,
was sie da für ein musikalisches Juwel vor sich haben", erzählt
er, "sie wissen nur, das hat mir schon meine Großmutter vorgesungen."
Und damit ihm kein Malheur passiert und er etwas als alt ausgibt, was gar
nicht so alt ist, ist Eliseo Parras alter Freund José Manuel Fraile,
Anthropologe und Musikexperte, meist mit von der Partie. "Einer jungen Gruppe
aus Aragon ist nämlich genau das einmal passiert", erinnert sich Parra.
"Die Musiker dachten, sie hätten ein Lied aus dem 18. Jahrhundert
aufgenommen, dabei war es ein Werbespot aus den 50er Jahren." Eliseo Parra
hat die Erfahrung gemacht, dass man sehr viel Vorwissen mitbringen muss,
um an authentisches Liedmaterial zu kommen: "Ich meine, wir sind da mit Liedern
aus acht Jahrhunderten konfrontiert. Und wenn man da nach einem bestimmten
Komponisten fragt, schütteln die Leute meist den Kopf, den kenne ich
nicht. Wenn man aber ein paar Takte vorsingt, heißt es gleich, ach
so, ja, und dann geht es los."
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