backRezensionen Deutschland


BIERMÖSL BLOSN
Unterbayern

(Mood-Records MOOD 6722/Zweitausendeins)
18 Tracks; 70:22

Wenn man der "Zeit" glauben darf, sind sie die "Retter der Volksmusik" und schreiben die "genialsten Protestlieder des Jahrzehnts" - man darf der Zeit auch nicht alles glauben, denn sie sind schon seit 26 Jahren musikalische Satiriker und schärfste Kritiker der bayerischen Obrigkeit oder des ganz alltäglichen bayerischen Lebens.

Nach einer CD mit Räuberliedern und einer mit unbekannten Valentin-Texten gibt es fünf Jahre nach "Wellcome to Bavaria" endlich wieder eine Live-CD mit neuen Liedern von Stopherl, Michael und Hansi Well, die alles "derblecken", was nicht rechtzeitig auf den Maibaum flüchten kann (der sich nach dem Absägen als E-Plus-Sendemast herausstellt). Mit zum Wiehern herrlichen Versen geißeln die drei Brüder das Gesundheitswesen, den Off-Road-Depp, den Hundenarren Mooshammer, das ländliche Dorfleben oder die Justiz (in einem düsteren Grabgesang auf den Staatsanwalt, der zu viel über Max Strauß' Festplatten-Machenschaften wusste). Dass die Gruppe kürzlich eine Preis für Verdienste um die bayerische Bierkultur verliehen bekam, wird besonders die Warsteiner "Brewery" schmerzen, deren Briefwechsel über eine beanstandete Zeile aus einem Biermösl Blosn-Gstanzl im Original vorgelesen wird - danach wird man die Behauptung, dass zu einem Warsteiner unbedingt ein Aspirin gehört, so schnell nicht vergessen.

Muss man noch erwähnen, dass die Well-Buam exzellente Multiinstrumentalisten sind? A geh! Kauft's des Teil!

Ulrich Joosten

 

BIERMÖSL BLOSN - Unterbayern


FINK
Haiku Ambulanz

(Trocadero/Indigo TR 20322)
13 Tracks; 53:14; mit Infos

Fink sind wieder zurück. Mit Album Nr. 5 und zum Duo geschrumpft klingen Fink lebendig wie selten zuvor. Fink spielen mit Folkbanjos, Pedalsteel- und Bottleneck-Gitarren, ohne auch nur ansatzweise amerikanisch zu klingen. Vergleiche mit Element of Crime oder Stoppok sind eher ein kläglicher Versuch, irgendeine Beschreibung zu finden. Irgendwo zwischen Hamburger Schule und Folk haben Fink einen eigenen Stil entwickelt, den man durch Vergleiche nicht mehr erfassen kann. "Haiku Ambulanz" zeigt Fink voller Spielfreude und Wortwitz. Die Experimente auf dieser CD sind mutiger, aber gehen nicht mehr zu Lasten von guten Songs. Ein Album, auf dem jeder einen anderen Song zum persönlichen Liebling erklären wird, ob "Shuffel und Kompott", einem Lied der Kategorie "längst überfällig" oder "der Hahn" mit einem Gruß an Calexico. Bei den meisten Songs fragt man sich :"Wie kann man so etwas schreiben?" und gleichzeitig. "Warum wurde so ein Lied nicht schon längst geschrieben?". Nebenbei liefert Fink eins der schönsten Albumcover des Jahres ab. "Haiku Ambulanz" ist definitiv der große Wurf. Kaufen. Hören.

Chris Elstrodt

 


HORCH
Nachtgesang

(Noise Art Records 11142)
12 Tracks; 47:58, mit Texten und Infos

Es gibt sie noch, die Gruppen, die deutschsprachigen Folk spielen. Horch gehören mit ihrer neuen CD zu denen, die ihrem Stil treu geblieben sind und das ist (zumindest bei ihnen) gut so. Dieser pendelt zwischen modernem Folkrock und Gesängen aus Carmina Burana, aus Renaissance und Barock(n'Roll), darunter Novalis und J.F.Löwen, Dichter der Lessingzeit. Besonders gelungen: zwei rockige Shakespeare-Stücke im Originaltext. Instrumentales, Tänze, ein Irish-Folk-Song und solider Satzgesang beweisen Vielseitigkeit. Gelegentlich sind mit Jethro Tull die alten Vorbilder erkennbar. Als Lieblingsthema der Hallenser hört man deftig-erotische Lieder wie das "entweihte Nonnenkloster" oder "Rotkäppchen". Aber auch Stücke mit inzwischen aktueller Realsatire: "Der Kranke ist ein toter Mann, wenn ihn der Arzt beerben kann". Von Klaus Adolphi (voc/mand) stammen die meisten Kompositionen und einige Texte, weitere Bandmitglieder sind Fabiano Fabiani (Flöten, Krummhörner), Witch (g/b), Pascha (vi), Tom Kante (dr) und St. Knauli als "verdeckter Erfiddler". Was ich an Horch besonders schätze ist die Konsequenz, sich gegenwärtigen Trends wie Gothic- oder Metal-Hämmern zu verweigern. Lediglich beim Cover hätte ich mir Originelleres vorstellen können.

Reinhard "Pfeffi" Ständer

 

HORCH - Nachtgesang


IN EXTREMO
Sieben

(Motor Musik/Universal)
13 Tracks, 54:31

Das 7.Album der 7 Berliner klingt nach Gothic, nach Metal, nach "Rammstein". Es ist historisches Material und es sind Eigenkompositionen, aber alles wird härter zelebriert als früher. Meist sind die Melodieinstrumente (Dudelsack, Schalmeien, Drehleier) hinter dem Vorhang röhrender Gitarren und prasselndem Schlagzeug verschwunden. Die Texte sind nicht unbedingt die hohe Lyrik ("Ich bin so geil auf deinen Erdbeermund"; "Ich habe meine Tante geschlachtet"). Sie kommen in Deutsch oder Latein daher, wobei Modulationsfähigkeit und Stimmumfang des Sängers doch eng begrenzt sind. Mir gefallen die wenigen ruhigeren Titel ("Ave Maria", "Küss mich"), in denen nicht das ganze Lied mittels Heavy-Gitarren zersägt wird. Besonders "Druert-Tanz" geht in Richtung Spielmannsmusik.

Piet Pollack

 

IN EXTREMO - Sieben


FRANK VIEHWEG
Mein Grund

(John Silver Production 0703)
17 Tracks; 56:27, mit Texten und Infos

"Diese Lieder sind wie eine Dusche nach der täglichen Vergewaltigung" schreibt Henry-Martin Klemt, von dem auch ein Text stammt, im Booklet und trifft es damit genau. Sieben Jahre nach seiner CD mit Songs von Silvio Rodriguez in deutsch stellt der Berliner eigene, sensible Stücke vor, die mich ein wenig an Wenzels frühe Liebeslieder erinnern, z.B. "November". Aber das Thema Nr.1 ist nicht alles: Viehweg versteht es, Befindlichkeiten präzise mit bildhaften Elementen zu beschreiben und kritische Aussagen, z.B. über Neonazis und Krieg, einzubeziehen. Das betrifft besonders Titel, die das Heute mit Utopien und Hoffnungen aus DDR-Zeiten konfrontieren: "Hier wo ich lebe komm ich nicht mehr an, und kann nicht gehn nach irgendwo". Texte, meilenweit entfernt von TV-Ostalgiewellen-Klischees. Nur der Humor kommt bei ihm zu kurz. Viehweg wird begleitet von Jürgen Ehle (g) und Scarlett O' (voc), bekannt von Pankow bzw. Wacholder, sowie Daniel Lorenz (vi/b), Dirk Müller (pi/acc) und Matthias Nitsche (perc/charango/voc). Die rein akustische Instrumentierung verzichtet auf schrille Töne und lässt die Texte damit voll zur Geltung kommen.

Reinhard "Pfeffi" Ständer

 


WOLFGANG MEYERING
Malbrook

(Eigenverlag 20031)
11 Tracks; 46:56

Uuuiih! Da gruselts und mystelts und geheimnists aus allen Kanälen. Die CD klingt, als sei sie unter Einfluss einer Überdosis Theodor Storm oder Ostfriesentee entstanden.

Ein Malbrook ist ein Tanzteufel, und so geht die Musik auch höllisch in Ohr und Beine. Wäre der Umgang mit (nicht nur deutscher) Folkmusik doch immer so modern und innovativ. Durch die Paarung von Mandola, Nyckelharpa und Dudelsack mit groovigen Drumloops und anderen Percussion wird ein treibender, borduniger Sound erzeugt, geprägt von unbändiger Spielfreunde und voll origineller musikalischer Einfälle.

Norddeutsche Folkmusik wird mit skandinavischer verschmolzen, akustische Instrumente mit elektronischen Sounds zu einer harmonischen Einheit vereint. Neben traditionellen und selbst geschriebenen Power-Instrumentalstücken hören wir plattdütsche mittelalterliche Lieder, teilweise recht düstere Geschichten.

Meyerings rauer Gesang wird von einigen fantastischen Frauenstimmen unterstützt, zur musikalischen Umsetzung hat er eine ganze Riege exzellenter Musiker um sich geschart. Mit dem Dudelsackspieler Ralf Gehler und Merit Zloch an Harfe und Dudelsack bildet Meyering die Gruppe Malbrook, als Gästen kamen u.a. Kerstin Blodig (Gitarre) und die schwedische Gruppe Hemallt hinzu mit Drehleier, Geige, Mandoline und Maultrommel.

Die Platte ist der ideale Soundtrack für graue Wintertage vor dem Kaminfeuer.

Ulrich Joosten

 

WOLFGANG MEYERING - Malbrook


LETZTE INSTANZ
Götter auf Abruf

(Andromeda Rec./ EFA)
14 Tracks; 52:41

Sicher werden einige finden, dass diese Band, ähnlich wie Subway to Sally oder In Extremo, im FOLKER nichts mehr zu suchen hat. Da wir aber auch die letzte Instanz von ihren Anfängen ("Brachialromantik") an begleitet haben, denke ich, dass auch ihre aktuelle Produktion hier noch Berücksichtigung finden sollte, zumal sie facettenreich und exzellent ist.

Mit "Götter auf Abruf" knüpft das Berlin-Dresdener Gemeinschaftsprojekt an die Arbeit des Vorgängers "Kalter Glanz" an und zeigt, dass das Ende der musikalischen Fahnenstange längst nicht erreicht ist. Kontinuierlich hat sich die Band mit dem Sängerwechsel 1998 vom Brachialfolk in Richtung Gothicrock mit Neofolk- und Metalelementen bewegt. Immer wieder bauen sie dabei klassische Elemente ein. Auf der neuen CD beweisen die Herren zudem, dass sie auch mit kantigerem Beat und deutschem HipHop ("Position im Kosmos") durchaus mithalten können. Ausschließlich deutsche Texte teils melancholisch, teils verbittert, vervollkommnen die "Götter auf Abruf". Mit Songs wie dem traurigschönen "Jeden Morgen" oder "Der Kaiser", der mit dem Berliner Kinderchor eingespielt wurde, finden sich auf der CD zwei Songs, die sowohl Hitpotential bieten, als auch meine Anspieltipps sind.

Claudia Frenzel

 

LETZTE INSTANZ - Götter auf Abruf


TRITONUS
Reise nach Ragnit

(Laura Records, Iro 1001)
15 Tracks, 49:40, Kurzinfo

Das Trio aus Berlin gehört zu den erfahrenen Live-Bands. Seit Jahren spielen sie zum Tanz auf, in der Art des Bal Folk, begleitet von einer Tanzmeisterin. Freilich beschränken sie sich nicht auf französisches Repertoire, sondern spielen sich quer durch Mitteleuropa, deutsche Stücke (wie die Strausberger Polka, strikt traditionell selbst erfunden oder den Windmühlentanz aus Mecklenburg) neben Branle, Walzer und Bourrée. Sie bearbeiten dazu die Melodien, versehen sie mit neuen Texten, erfinden Neues. Eine Musik, die man sich mit Freude anhören kann, kraftvoll, klar strukturiert und im souveränen Zusammenspiel, was gemeinsame Spiel-Freude und die Erfahrung unzähliger Auftritte verrät. Und dabei ist das "nur" Tanzmusik. Anhörbar, tanzbar.

Jürgen Brehme

 


AUFWIND
inejnem

(MSR 02282)
13 Tracks; 47:04; mit Texten (jidd./dt./engl./franz./span.) und Infos (dt.)

Man könnte tatsächlich von einer DDR-Erfolgsgeschichte sprechen: Claudia Koch (Gesang, Geige), Hardy Reich (Gesang, Mandoline, Gitarre) und Andreas Rohde (Bandoneon, Perkussion) schlossen sich bereits 1984 unter dem Namen "Aufwind" zusammen. Schwerpunkt zu Beginn waren Lieder in jiddischer Sprache. 1988, unter Hinzunahme von Jan Hermerschmidt (Klarinette), verlegte man sich dann verstärkt auf Klezmermusik. Neben unzähligen Auslandsgastspielen, zwei Fernsehproduktionen und einer Theaterinszenierung am Berliner "Theater im Palast" wurden bis 1996 vier Alben produziert, das erste 1989 noch unter dem inzwischen zu Kultstatus erkorenen Amiga-Label. Vor einem Jahr wurde schließlich das fünfte und letzte Album der Gruppe mit Thomas Paffrath als Gastbassisten aufgenommen. Der jiddische Titel "inejnem" soll dabei nicht nur "zusammen / gemeinsam" musizieren heißen, es sollte auch "eine hörbare Einheit zwischen Liedern und ihren Interpreten" (Vertriebsinfo) entstehen. Neben den Texten in jiddisch (in lateinischen Buchstaben) und deutscher Übersetzung werden im Beiheft vorbildlich auch weitere Informationen zu den Textern und Komponisten gegeben. In "Tanz Istanbul" ist man sich sympathischerweise auch nicht zu schade einzugestehen, die Herkunft des Liedes nicht nachvollziehen zu können. Lange genug hat man auf ein neues Album von Aufwind gewartet.

Matti Goldschmidt

 


ULRICH TUKUR UND DIE RHYTHMUS BOYS
Morphium

(Roof Music RD 2333186/ Eichborn ISBN 3-936186-36-7)
15 Tracks, 58:59, Infos

Eine kleine gemütliche, verrauchte Bar, schummriges Licht und auf der Bühne spielt eine Band stimmungsvolle und etwas schwüle Lieder, so etwa muss man sich das neue Programm von Ulrich Tukur vorstellen. Ulrich Tukur mag ja nicht der beste Sänger sein, aber als hervorragender Schauspieler kann er Texten Leben einhauchen, gesprochenen wie gesungenen. Er hat sich alte Chansons von Grothe, Spoliansky, Kreuder und Hollaender herausgesucht, die sich um Drogen und Träume drehen und trägt sie mit hintergründig morbidem Charme vor. Die Lieder erhalten bei ihm einen ganz neuen Klang. Besonders deutlich wird dies bei dem Klassiker: "Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da". An dieses Lied, das so einzigartig von Gründgens interpretiert wurde, von dem so unzählige misslungene Versuche existieren, hat er sich gewagt und gewonnen. Tukur hat nicht versucht Gründgens nachzuahmen, er hat eine eigene Version geschaffen. Auf der CD sind auch eigene Lieder von ihm zu hören, die sich gekonnt in diesen Reigen einfügen. Die giftig-süße Hommage an Evelyn Hamann z.B. war dem ARD zu gewagt, sie haben sie nicht gesendet. Sehr zu loben sind auch die Rhythmus Boys. Sie unterstützen kongenial Tukurs gesangliche Möglichkeiten und belegen auch bei den reinen Instrumentalstücken, wie z.B. bei "La Paloma" ihre außergewöhnliche Spielweise.

Rainer Katlewski

 


BODO KOLBE
"Armut war schuld daran -Räuberlieder 1802 - 1824 vom Schinderhannes bis zu den armen Leuten von Kombach"

(Dickworz Bladde DWCD 0602)
17 Tracks; 53:17; mit Texten und Infos

"Ried-Blueser" Bodo Kolbe und seine Mundart-Bluesband "Saure Gummern" mal ganz anders: In Konspiration mit Gastmusikern von Le Cairde und Molwert gehen sie an die musikalische Aufarbeitung von Regionalgeschichte, dabei geht es in der Hauptsache um den berühmtesten aller Räuberhauptleute, klar, den "Schinderhannes" Johannes Bückler, der im Hunsrück sein Unwesen trieb, aber auch um Rinaldo Rinaldini, um Georg Philipp Lang (Hölzerlips) und andere Schurken. Kolbe und seine Mitmusiker greifen dabei natürlich auf Zuckmayer-Texte zurück, aber auch auf mehr oder weniger bekannte traditionelle Quellen. Interessant dabei ist, wie der Volksmund bekannte Melodien verwendete, um "neue" Texte zu transportieren. Wen wundert's dass der Blueser Kolbe nicht widerstehen konnte, seinerseits das "Abschiedslied für Kathrin" aus der Feder von Philipp Friedrich Schütz passend mit der Melodie des "House of the rising sun" zu unterlegen!

Auf der CD werden jede Menge swingend eingespielte Saiteninstrumente wie Gitarren, Mandolinen, Banjo, Ukulele, Bouzouki, Dulcimer, Cithern und Bass eingesetzt, hinzu kommen Mundharmonika, Harmonium, Geige, Bratsche und gelegentlich (dezente!) Drums. Dass die Lieder von verschiedenen Vokalisten gesungen werden, macht diese musikalische Geschichtsstunde umso abwechslungsreicher. Endlich wieder einmal eine gelungene deutschsprachige Folkplatte.

Ulrich Joosten

 


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