backFerner liefen...

Endlich weiß ich dank Farb-TV, wie "szenetypische Briefchen" aussehen. Knallrot die Umschläge, klar, eine kräftige Kontrastfarbe und nicht "weiß, passend zum weißen Pülverchen", wie meine ignorante farbengelehrte Lebensabschnittsgefährtin vorschlägt. Schließlich darf keins der megateuren Pulverkrümel verloren gehen. Was bei den besten Orgien vorkommen kann: wehe, einer schaltet aus Jux den Staubsauger ein beim allgemeinen hohen C, mit "Linien-Einpfeifen" und hektischen Frauenbewegungen der in die Luxussuite bestellten transuralischen Katalogdamen (die nehmen übrigens laut "Stern"-Betroffeneninterview 75 Euronen die Stunde, davon gehen zwei Drittel an die "Agentur", und Sonderwünsche, schlabber, geifer, gier, kosten extra...!).

Also: Augen auf beim Drogenkauf. "Bewusstseinserweiternd" dürfen Stimmungsaufheller sowieso bald nicht mehr genannt werden, nach neuestem Verbraucherschutzplan aus Brüssel. Auch sog. Light-Zigaretten und schlankheitsfördernde Crème-fraîche-Kartoffelchips mit Zwiebelgeschmack stehen auf der Abschaffliste. Pommes werden schon jetzt nicht mehr mit Mayo serviert, sondern mit kalorienreduzierter Salatcreme. Aber selbst Bärbel Schäfer hat dem TV-Kollegen seine Eskapaden längst verziehen, und Michel Friedman hat die 17.400 Euro an die Staatskasse gelöhnt und sich bei der "deutschen Öffentlichkeit" auch noch entschuldigt. Der hat er aber doch gar kein Leides getan, von medial verabreichten Psychofarmaka und -fäkalien abgesehen. Drogen helfen nicht weiter, auch nicht in einer Lebenskrise, versicherte er - dabei, er war doch gar nicht in der Lebenskrise, da war doch "let's party" angesagt, hemba-hemba und Eros Ramazotti und so?

War's nicht Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD), der das Schnupfen talkshowtauglich machte? Statt sich mit Koks in Stimmung zu bringen, dem CDU-Aufsteigerpulver, hätte sich Friedman ein Beispiel an der drögen Rotweinnase Ulrich Wickert nehmen sollen, der ist beim guten alten sozialdemokratischen Hasch geblieben, wie schon der Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, Ferdinand Lassalle. Bei dessen Soireen blieb allerdings der Talkmaster nüchtern, im Gegensatz zu den Gästen, u. a. der Ägyptologe Heinrich Brugsch, der den Stoff aus Persien besorgte, Satiriker Ernst "Kladderadatsch" Dohm und Dirigent Hans von Bülow (Komponist des Arbeiterbundesliedes, Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will...). "Lassalle selbst versagte sich den Genuss, dies orientalische Narkotikum zu rauchen und dessen oft so glühend geschilderte wundersame Wirkungen auf Gehirn und Nerven an sich selbst zu erproben. Er wollte den Kopf freibehalten, um die Vorgänge zu beobachten und zu studieren, die das Einsaugen des Haschischaroms bei jedem einzelnen zur Folge haben würde. Hans von Bülow sah man sehr bald in eine Art poetisch-musikalischer Verzückung geraten. Von goldig-leuchtenden Abendwolken, wie er es begeisterungstrunken schilderte, fühlte er sich emporgehoben und durch die Lüfte getragen und vernahm, während seine Augen und sein Antlitz in seliger Verklärtheit leuchteten, wunderbare überirdische Harmonien, Sphärenklänge, die er nachzusingen vergebens versuchte.... Dann aber erkannte Dohm zu seinem Schrecken, dass er in eine Eule verwandelt sei und mit den Flügeln schlagen müsse, und noch dazu in eine für Eulen ganz ungewohnte Situation geraten wäre. Er fühlte sich auf einer Postwagenreise begriffen und augenblicklich in der Passagierstube eines Stationshauses den Beginn der Weiterfahrt erwartend. Hier verlangte er mit krähender Stimme das 'Beschwerdebuch'... Irgendein unangenehmer katzenjämmerlicher Zustand, wie nach dem Opiumrausch, blieb zu unserer Überraschung nicht zurück." (Ludwig Pietsch, Wie ich Schriftsteller geworden bin, Hg. v. Peter Goldammer, Berlin: Aufbau-Verlag 2000, S. 224f.) Passt ja auch alles viel besser zu den Sozis, deren Regierungseulen freilich bisher zwar Homo-Ehe und Dosenpfand, nicht aber den Raschischhauch, pardon, Haschischrausch legalisiert haben. Weil man's trotz vielfältiger Darreichungsformen leider nicht mit der goldenen Bahncard zerhacken und nasal aufschnupfen kann.

Das Beste an der Nutten & Koks-Affäre aber war die personifizierte Nemesis, die "Frau, die Friedman alt aussehen lässt", wie es in einem Glückwunsch zu ihrem 60. Geburtstag im Hessischen Rundfunk hieß: Alice Schwarzer. Die hat ja selber schon (am 10. Oktober 2001, kurz nach dem Zickenstreit mit dieser Bohlen-Matratze, wie hieß sie gleich, Feldbusch) im TV-Clubsessel bei Friedman gekuschelt und war von diesem unzart angequatscht worden. Zeit für eine Retourkutsche: "Was ich bedauerlich finde", die hochgezogene Braue war im WDR-Hörfunk nicht zu sehen, "ist, dass er zu seinen Fehlern ausschließlich den Drogenmissbrauch rechnet. Die Tatsache aber, dass er ja nun offensichtlich mit Menschenhändlern verkehrt hat und sich da Frauen bestellt hat, Frau-önn, die Zwangsprostituierte sind, das hat er noch nicht mal erwähnt... Die 'Ware' ist ihm gebracht worden, er hat auch bei diesen Menschenhändlern bezahlt... Das sind Frau-önn, die, wenn man genau hinguckt, haben vielleicht auch blaue Flecken und Brandstellen von Misshandlungen." Moment mal - hör ich da eine zarte verhaltene Missgunst heraus, weil sich ein Friedman Landeier von besserer Güteklasse leisten kann? Aber dann kam´s knüppeldick, gib's ihm, Alice: "Er gehört ja selbst zu einer Gruppe, die auf das Dramatischste betroffen war und ist von dieser Abwertung von Menschen... Und da hätte ich mir gewünscht, dass er eben Frauen auch ernst nimmt... Die Mädchen kamen aus Osteuropa, wo ja seine Familie herstammt" usw. usf. Einer "Gruppe" gehört Friedman an, hört, hört! Und zwar zu denen, sagt uns Sander L. Gilman, die der antisemitische Blick einerseits verweiblicht (Juden sind Prostituierte), um andererseits ihren latenten vergewaltigungsbereiten Sadismus zu konstatieren (Juden bestellen sich brenzlig riechende Frauen mit blauen Flecken). Was da aus Schwarzers lichtem Gemüt so ganz ohne Einmischung von Logik hervorgeblubbert kam, ist nicht mehr weit von Robert Neumanns Parodiegestalten - blondäugige Mädels in widerlicher Umklammerung von krummnasigen Arbeitgebern, die ein blonder germanischer "Teut Kämpfer" mit einem Befreiungsschlag vor dem jüdischen Sündenpfuhl rettet... Wie gut, dass mir noch keiner auf die Schliche gekommen ist, was ich alles auf dem Kerbholz habe, mit meiner Urgroßmutter aus Mecklenburg-Vorpommern und der Oma aus Oberschlesien und der Zweit-Oma aus Wien, die dann Gott sei Dank rechtzeitig nach London, und wenn Alice wüsste... Paragraph eins, als Opfer des Faschismus darf man sich hierzulande keinen Fauxpas erlauben, Paragraph zwei, so schnell verzeihen wir denen nicht, was wir ihnen angetan haben, und wenn doch, tritt automatisch Paragraph eins in Kraft.

Kein Wunder, dass Friedman die Spezis im Verzeihen, das Volk der "zweiten Schuld", um seine "zweite Chance" bittet. Da fragt sich der sprachsensibel-schreibreformgeschädigte Mitmensch: auf was? Denn die "Chance auf" hat sich jenseits aller vernünftigen Grammatik landesweit eingebürgert. Aber jetzt bloß nicht bei google eintippen, da werden Allerweltswörter wie "auf" gleich gecancelt; bei anderen Suchmaschinen klappt's, www.teoma.com beispielsweise. Da verheißen Lotterieeinnehmer die "Chancen auf" Millionengewinne, Jobvermittler "Chancen auf" berufliches Fortkommen, Kommentatoren sehen die "Chance auf" Frieden im Nahen Osten gefährdet u. a. m. "Gabel auf", so hört sich das in meinem inneren Sprach-Ohr an, nämlich auf der Schiefertafel meines Nervensystems genüsslich herumkratzend. "Hoffnung auf", kein Problem, das geht, aber die Chance kommt m. W. nur "auf" des Genitives Schwingen, so hab ich das in den sechziger Jahren gelernt, und ist nicht intendierbar wie des Prinzips Hoffnung, wenn nicht gar des Gerald Hoffnungs Prinzip. Schlagt nach bei Bloch. Na gut, bei "intendierbar" gänst es wieder andern die Ohrtrommelhaut, die deutsche Sprache ist ja bekanntlich unkaputtbar, und wer jenseits der Sperrstunde an der Schauderbar erwischt wird, kommt ausnüchterungshalber in Ekelhaft, und wer nicht beim Moralinprogramm mit der sauren Ersatzdroge bleibt, dem gehört der kleine Unterschied beschlagnahmt.

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


zurück


Home


vor


!!!

Folker! - ...und jetzt wieder: über 40% sparen beim Folker!-Schnupperabo
und ein Geschenk dazu!

Also auf zur von-uns-für-euch-Schnupper-Abo-Test-Bestellung!

Die regelmäßige Kolumne im Folker!