backRezensionen Nordamerika


ANI DIFRANCO
Evolve

(Righteous Babe Records/IndigoRBR030-D)
12 Tracks, 57:37; mit Texten

Wo nimmt diese Frau nur ihre Energie her? Ani DiFranco legt in einer für dieses Geschäft atemberaubenden Folge fast Jahr für Jahr eine neue CD vor. Und jedes Mal hat man den Eindruck, sie hat schon wieder ein neues musikalisches Ufer erreicht. Ich kenne kaum einen Künstler oder eine Künstlerin, die mit einer solchen Kreativität ans Werk geht. Zwar steht auch auf "Evolve" - den Titel erklärt die engagierte Musikerin damit, dass ihr selber bewusst gewesen sei, sich weiterentwickelt zu haben - DiFrancos Gesang und Gitarrenspiel im Mittelpunkt. Und als kleine persönliche Herausforderung, setzt sich Ani DiFranco gar ans Klavier, obwohl sie doch - Zitat - "gar nicht Klavier spielen kann". Letztendlich ist "Evolve" ein richtiges Bandprodukt. Das Ergebnis einer vor drei Jahren begonnenen Arbeit, als sie Bläser in ihre Band aufnahm, eingespielt mit den Musikern, mit denen sie seitdem auch immer auf Tour war: Julie Wolf an den Keyboards, Hans Teubner auf der Querflöte und den Blasinstrumenten, Jason Mercer am Bass, Daren Hahn am Schlagzeug sowie Todd Horton, Ravi Best und Shane Endsley auf den Blechinstrumenten. In den zwölf Tracks stecken alle möglichen Musikfarben von Jazz und Rock bis zu Funk und Latin-Grooves ("Here For Now"). Mit "Shrug" und "Welcome To" finden sich auf der CD auch zwei Stücke, die ihre Premiere als Live-Versionen auf "So Much Shouting, So Much Laughter" (der "Folker!-CD 2002") hatten. Und Ani DiFrancos offensichtlich neu entdeckte Liebe für die musikalische Bearbeitung langer Gedichte zeigt sich auf dieser CD bei einer im Sprechgesang vorgetragenen, zehn Minuten langen politischen Generalabrechnung in "Serpentine". Politisches Lied auf höchstem Niveau! Für mich gehört "Evolve" eigentlich schon wieder in die Kategorie "Die Besondere".

Michael Kleff

 


JEFF TALMADGE
Gravity, Grace and the Moon

(Bozart Records 1004/BozartCD@aol.com)
49:29; Infos und Texte

Natürlich ist er nicht so originell, wie es Großmeister seiner Zunft wie John Prine oder Townes Van Zandt in den Frühphasen ihrer Karrieren waren - dazu ist das Singer/Songwriter-Genre längst viel zu breitflächig abgegrast. Aber Jeff Talmadge erinnert in den besten Momenten seines vierten Albums durchaus mitunter an die Klassiker wie die beiden erwähnten: Versiert sein Songwriting, inspiriert seine poetischen Texte, so makellos sein Gitarrenspiel wie auch der Rest der Band auf der gesamten Produktion. Und noch in einer weiteren Hinsicht leistet das vierte Album des Mitbegründers der "Austin Conspiracy of Performing Songwriters", praktizierenden Anwalts und Major-League-Baseball-Talentscouts ganze Arbeit: Es veranschaulicht auf ganz praktische Weise, dass Vergangenheit und Gegenwart in der Nachfolge der Postmoderne gleichberechtigt nebeneinander existieren können, wenn man es richtig macht. So nostalgisch die akustischen Folk-Tunes (Mundharmonikas, die wimmern wie alle Melancholie des Südens zusammen), so gegenwärtig die etwas rockigeren Töne - und bei beiden Varianten schwingt immer auch die andere irgendwie mit. Sondererwähnung: Lorri Singers und Bradley Kopps einfühlsame Backup Vocals.

Christian Beck

 


THE COMPLETE NATURAL BLUES
The Blues Makers/Natural Blues

(Wrasse/Sunny Moon)
3 CD-Box, 184:27; mit Infos

Während die Einzelscheibe Naturblues I Bewährtes, Bekanntes und Vielveröffentlichtes eher für Neueinsteiger enthält (Howlin' Wolf, Sonny Boy Williamson II, John Lee Hooker, Little Walter, Muddy Waters, B.B. King, Etta James u.a.), bietet der Doppeldecker der Box "Natural Blues II" einen schönen Querschnitt über die afrikanische und amerikanische Musikszene mit Leuten, die den Bluesbegriff zu beleben und sowohl erweitern suchten. Angefangen mit dem senegalesischen Gitarristen und Harmonikaspieler Ismael Lo, über die südafrikanische Sängerin Nothembi Mkhwebane bis hin zum bekannten, spannenden Weltmusik-Wettstreit Ali Farka Toure/Ry Cooder, Taj Mahal/Toumani Diabete und Sängerinnen wie Dinah Washington, die den Jazzbegriff erweiternd ins Spiel brachten, reicht das Spektrum, welches hier umfassend aufgezeigt wird.

Annie Sauerwein

 


DAYNA KURTZ
Postcards From Downtown

(Munich Records MRCD 238)
10 Tracks, 43:32; mit Texten

Was für eine Stimme! Klar, dunkel und variationsreich. Diese Mischung trifft man nicht so oft an. Dayna Kurtz hat so ganz und gar nicht das, was man mit so vielen Songwriterinnen verbindet, diese Spur, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich jetzt jemandem auf die Füße treten sollte, diese Spur Langeweile in der Stimme. Die Sängerin und Gitarristin aus New Jersey hat mit "Postcards From Downtown" ein faszinierendes Solodebüt vorgelegt. Der Grundton der zehn Tracks ist zwar in Moll gehalten, aber das tut dem angenehmen Gefühl keinen Abbruch, dass sich beim Hören der CD einstellt. Auch die eher düsteren Geschichten - ob in "Paterson", einem Song über die trostlose Atmosphäre ihrer runtergekommenen Heimatstadt oder ob im Titelstück, wo es um enttäuschte Liebe geht - können an dieser positiven Grundstimmung nichts ändern, die Dayna Kurtz kraft der Intensität ihres Gesangs erzeugt. Mein absoluter Favorit ist der Opener "Fred Astaire" mit der wunderschönen Textzeile "And what do you remember/after too much sweet wine/that you woke up hungover/or that you had a good time?/Well, I had a good time". Genau, die hatte ich beim Hören dieser CD, an deren Gelingen natürlich auch mehrere Begleitmusiker von Dayna Kurtz Anteil haben. Nur, deren Namen sind im Booklet in einer Punktgröße geschrieben, die ich selbst mit Brille nicht entziffern kann. Das gibt neben der Länge - unter 45 Minuten - einen kleinen Abzug in der Gesamtwertung.

Michael Kleff

 


BEN HARPER
Diamonds on the Inside

(Virgin CDVUSDJ 234 LC03098)
14 Tracks, 61:27

So sind sie, die Popmusikanten, immer ein großes Wort auf den Lippen: Die Diamanten, die der Albumtitel von Ben Harpers siebtem Album so vollmundig verspricht, sind doch wohl etwas hoch gegriffen! Nicht, dass der Weissenborn-Liebhaber und -Virtuose nicht wieder einen ganzen Sack mit grundbrauchbarer Popmusik gefüllt hätte, aber: Zu sehr nach dem Mainstream geschielt die Produktion, zu schnell zufrieden mit den jeweiligen Genre-Standards offenbar, statt sich ein bisschen mehr Mühe zu geben, eine noch nicht gehörte Melodiewendung oder Produktionsfinesse zu finden. Und vor allem: Viel zu viele Stile! Wer in einem Album das ganze Spektrum schwarzer Populärmusik unterbringen will, von Blues bis Funk bis Rock, der muss sich nicht wundern, wenn er am Ende vor lauter Universalgenie nirgends mehr zum Kern vordringt. Und was Stücke wie "Temporary Remedy" betrifft: Lenny Kravitz gibt es ohnehin längst! Und auch wenn er sich noch nicht selbst erfunden hätte, und selbst wenn man ihn noch besser machen könnte ? ach: Was soll's …

Christian Beck

 


KELLY JOE PHELPS
Slingshot Professionals

(RYKO RCD 10633/Zomba)
10 Tracks, 52:53; mit Infos und Texten

Mag man, vor allem anfangs, auch manchmal das Gefühl haben, ein bisschen mehr Attacke könnte nicht schaden bei Kelly Joe Phelps, so weiß er doch offensichtlich genau, was er tut: Acht Jahre nach seinem Debüt hat er fürs fünfte Album nun erstmals mit Band gearbeitet. Und hatte auch bei deren Zusammenstellung scheinbar das zarte Händchen, das auch seine Songs zwischen Country Blues, Autoren-Folk und einem Schuss lautmalerischer Avantgarde auszeichnet: Steve Dawson (Slide), Jesse Zubot (Violine) und Andrew Downing (Bass) legen bei acht Songs ein ebenso solides wie hochdelikates Folk/Roots-Fundament, das Bill Frisell (Gitarre) und Keith Lowe (Bass) auf den restlichen Tracks ganz sachte mit den vor allem für den Gitarristen so typischen akustischen Gaze-Tüchern verhängen. Allzu schwer haben sie's wie der Rest der Gäste allesamt nicht: Phelps' Songs sind ausnahmslos rund und stimmig, wirken mit ihrer homogen sanftmütigen Grundstimmung je häufiger der Genuss, desto zwingend. Und verlangen mit ihrer ganz eigenartigen Transparenz offenbar auch genau nach dem Maß an meditativer Grundstimmung, die das gesamte Album schließlich denn auch durchzieht und weiter verbreitet.

Christian Beck

 


LAURA CANTRELL
When The Roses Bloom Again

(Shoeshine Records/Sony, Bizzy Bee Promotion)
12 Tracks, 42:03

Minimalistische Countryklänge aus Manhattan. Mit diesen Worten beschrieb Colin Irwin Laura Cantrells Musik in einem Mini-Porträt in der englischen Musikzeitschrift Mojo vor knapp zwei Jahren. Ein Urteil, das auch für die zweite CD der in Nashville geborenen und in New York lebenden Sängerin Geltung hat. Die Musikfarben ihres Geburtsorts und ihres Wohnorts scheinen in ihren Songs nahtlos ineinander zu fließen. Mit glasklarer Stimme interpretiert Laura Cantrell vier Eigenkompositionen sowie Songs von New Yorker Songwriterkollegen wie Joe Flood, Amy Rigby und Dave Schramm ("Conquerors´s Song", ein Plädoyer für die ständige Suche nach der Wahrheit bzw. den Kampf gegen Unwahrheit). Dabei kreiert sie einen Sound, der nicht in die Kategorie alternative country gehört, sondern der den Hörer in die Zeit zurückzuholen scheint, wo Countrymusik in Nashville noch irgendwie unberührt war vom großen Musikgeschäft. Das Titelsong ist eine Coverversion eines Songs aus der Zusammenarbeit von Billy Bragg und Wilco für die beiden CDs "Mermaid Avenue Vol 1 & 2" mit Vertonungen von Woody Guthrie-Texten. Es stellte sich dann jedoch heraus, dass der Song bereits eine Copyright-Eintragung von A.P. Carter hatte, kam er nicht auf die "Mermaid"-CDs. Laura Cantrell hatte Spaß an der Idee, dass ein alter Song durch so viele Hände gegangen ist und immer wieder ein neues Gesicht bekommt.

Michael Kleff

 


BOB STROGER & HIS CHICAGO BLUES LEGENDS
In The House

(CrossCut Records CCD 11065)
11 Tracks, 67:41

LITTLE AL THOMAS & THE CRAZY HOUSE BAND
In The House

(CrossCut Records CCD 11068)
11 Tracks, 58:15

ROY GAINES
In The House

(CrossCut Records CCD 11074)
12 Tracks, 68:51

Das Bremer Blues-Label CrossCutRecords veröffentlicht in einer neuen Serie einige Konzertmitschnitte des jährlich stattfindenden Schweizer "Lucerne-Blues-Festival".

Den Beginn macht der Bassist und Sänger Bob Stroger mit seinem Auftritt im Jahre 1998.

Begleitet wurde er von den "Chicago Blues Legends" (James Wheeler (Gitarre/Gesang), Billy Flynn (Gitarre/Gesang) und dem "Ken Saydak Trio" (Ken Saydak (Piano/Gesang), Ron Sorin (Mundharmonika), Martin Binder (Schlagzeug)). Der Name ist hier Programm, bodenständiger Chicago-Blues wird geboten. Von den elf Stücken sind zwei Eigenkompositionen, zwei stammen von James Wheeler, der Rest aus fremder Feder. Die Songs sind sehr auf den Untergrund von Bass/Schlagzeug aufgebaut, worauf sich dann die solistischen Ideen der beiden Gitarren, des Pianos und der Mundharmonika frei entwickeln.

Etwas weniger bodenständig gaben sich "Little Al Thomas And The Crazy House Band" im November 2000. Auch hier ist die Heimatstadt Chicago nicht zu verleugnen, der Stil der Band ist jedoch eleganter und durch die Verwendung von zwei Saxophonen in Anklängen etwas "soulig". Das Genre Blues wird allerdings nie verlassen; dafür sorgt John Edelmann an der (ausgesprochen virtuos gespielten) Gitarre, der zu gegebener Zeit dazwischengrätscht, einen weiteren Spannungsbogen aufbaut und zeigt, warum Chicago die "Windy City" ist. Das Songmaterial besteht größtenteils aus Coverversionen, die Little Al Thomas mit Inbrunst vorträgt.

Das Highlight der Trilogie ist für mich die Aufnahme von Roy Gaines aus dem Jahr 2001. Auch hier wirkt das Zusammenspiel von engagiert gespielter Bluesgitarre und einer überaus versierten Horn-Section (George Pandis (Trompete), Troy Jennings (Bariton-Sax), Johnny Viau (Tenor-Sax)) wohltuend ausgleichend. Roy Gaines lässt Stimme und Gitarre röhren, ohne jedoch in Blues-Rock-Klischees zu verfallen. Kurze Single-Note-Lines und der immer wieder losstürmende Texas-Shuffle werden lässig-elegant aufgefangen und swingend in Richtung New Orleans gelenkt. Und das ist es auch, was für mich die hohe Qualität dieser Band ausmacht : Eine starke Stimme, eine scharf gespielte Gitarre, tolle "Begleit"musiker und intelligente bis witzige Arrangements (wer verewigt schon die Liebe zu seiner Gitarre in einem Song wie "Lucille Works For Me" ?). Toll auch das "angejazzte" "I Got My Thang On You" : George Pandis gibt mit seiner Trompete das Thema vor, Roy Gaines antwortet zunächst mit der Gitarre, dann mit der Stimme, und nach und nach kommen dann auch die Saxophone und das Piano (Neil Wachoupe) ins Spiel. Wenn das der moderne, elektrische Blues ist : Gerne mehr davon !

Achim Hennes

 


Home