Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder CDs, die aus der Masse herausragen:
LINDA
THOMPSON
Fashionably Late
(Rounder Records/inakustik RRCD3182)
10 Tracks, 42:15; mit Besetzungsinfos
Unglaublich! Nach all den Jahren! Als damals in den 80ern die Ehe mit Richard T. zu Ende ging, da gab es auch keine Basis mehr für das legendäre Duo und Linda Thompson schien sich für immer vom Mikrofon verabschiedet zu haben. Und jetzt diese CD! Oder besser: jetzt DIESE CD! Das "Warum" und "Wieso" ist durch einen Blick ins Booklet schnell geklärt; es ist eine Familienangelegenheit, besonders die Kooperation mit Sohn Teddy scheint Linda inspiriert zu haben.
Zwei Dinge beeindrucken mich nachhaltig. Da ist zum einen die Stimme, die trotz der langen Pause nichts von ihrer Ausdruckskraft und Faszination verloren hat. Im Gegenteil, wenn Linda Thompson singt, dann gibt es eine direkte und fast permanente Verbindung zwischen den Ohren und den feinen Nackenhärchen. Und da ist zum anderen die hohe Qualität der Songs. Man muss sich das vorstellen, hier ist nicht der allseits geschätzte Richard T. am Werke (der aber tatsächlich einmal die Saiten zerrt und dessen wenn auch kurze Anwesenheit die Frage aufwirft: Ist er derjenige welcher bei "Dear Old Man Of Mine"?). 3x ist Linda Thompson alleine verantwortlich, 5x gemeinsam mit Sohn Teddy (der wenig verwunderlich elegant die Gitarre spielt), 1x mit Rufus Wainwright (auch der mit bekannten Eltern) und ein Stück der viel zu früh verstorbenen Lal Waterson. Dazu kommt, dass Linda Thompson eben nicht Lieschen Müller ist, sie kann sich ihre musikalischen Mitstreiter aussuchen und ihre Wahl war gut. Ein kurzer Auszug aus der Gästeliste: Danny Thompson (kein Verwandter!), Kate Rusby, Van Dyke Parks, Jerry Donahue, John McCusker, Andy Cutting. Martin Carthy, Kathryn Tickell etc. Und wenn dann noch Tochter Kamila einstimmt, dann wird klar, was ich weiter oben mit "Familienangelegenheit" meinte.
Natürlich geht jetzt die Debatte los, ob Linda Thompson ihre Bühnen- bzw. Mikrofonangst überwinden und diese Lieder live präsentieren wird. Für mich ist das sekundär, denn es ist bereits ein Genuss, diesen Harmonien, diesen Themen, diese Melodien und dieser Ansammlung von Könnern zuzuhören. Immer wieder und immer wieder!
Mike Kamp
ANI DIFRANCO
So Much Shouter, So Much Laughing
(Righteous Babe Records/Indigo RBR029-D)
CD 1: 11 Tracks, 62:44; CD 2: 13 Tracks, 60:32
Render, Spanning Time With Ani DiFranco
(Righteous Babe Records/Indigo RBR026 DVD)
DVD, 112:00
Ani DiFranco hat einmal mehr Juwelen für die Augen, die Ohren und die Sinne (Verstand eingeschlossen) vorgelegt. Der Reihe nach: "So Much Shouting, So Much Laughter" ist erst das zweite Live-Album von Ani DiFranco nach dem 1994 erschienenen "Living In Clip". Die auf den beiden CDs enthaltenen 24 Titel geben einen Überblick über die nunmehr 15 Jahre dauernde Karriere der engagierten Künstlerin aus Buffalo, New York. Damals zog sie und ihre Gitarre noch mit einem VW-Bus durchs Land. Mittlerweile ist sie Chefin ihrer eigenen Plattenfirma (Righteous Babe), die sie bewusst in Buffalo angesiedelt hat, um ihren Beitrag in dieser wirtschaftlich ziemlich runter gekommenen Gegend zu leisten. Mit einer Ausnahme - "Shrug", ein Stück, dass Ani laut eigener Aussage bei dem Konzert zum ersten Mal gespielt hat - finden sich alle anderen Songs auf ihren bislang weit über ein Dutzend Studioproduktionen. Aber, die auf Konzerten zwischen 2000 und diesem Jahr aufgenommenen Versionen haben fast alles ein neues Gesicht bekommen. Nicht zuletzt durch das Ani DiFranco begleitende Ensemble: Julie Wolf (Keyboards), Hans Teuber (Saxophon), Shane Endsley, Todd Horton und Ravi Best (Trompeten), Jason Mercer (Bass) und Daren Han (Schlagzeug). Das beeindruckendste Lied auf den beiden CDs ist für mich "Self Evident", ein Neun-Minuten-Stück das DiFranco nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center geschrieben hat - eine Art Gedicht, das weit ausholt und Zusammenhänge zwischen dem schrecklichen Ereignis und der Politik herstellt. Dass Ani Di Franco kein Blatt vor den Mund nimmt, ist bekannt. Daher ist es auch nicht überraschend, dass sie bei aller Trauer um die Opfer der Anschläge in "Self-Evident" klarstellt, dass Bush nicht Präsident der Vereinigten Staaten ist, die USA keine wahre Demokratie sind und sie sich nicht von den Medien an der Nase herumführen lässt.
So wie "So Much Shouting, So Much Laughter" eine akustische Collage der musikalischen und politischen Welt ist, so ist die DVD "Render, Spaning Time With Ani DiFranco" die audiovisuelle Entsprechung. Zusammengestellt aus Material aus den letzten fünf Jahren nimmt Ani DiFranco den Betrachter nicht nur mit in die Konzertsäle, sondern auch in ihre Stadt (u.a. berichtet sie über ihre Versuche, alte Gebäude in der Stadt vor dem Abriss zu retten) und in ihre Gedankenwelt, indem sie offen legt, was sie auf der Bühne fühlt und was sie zum Schreiben ihrer Songs bewegt. Dabei kommen auch in den USA politisch umstrittene Themen wie Todesstrafe und Homosexualität zur Sprache. "Render" ist nicht einfach ein visuelles Live-Album, sondern ein geniales Kunstwerk und eine spannende Dokumentation in einem.
Michael Kleff
PURO-JUHOIN PEKKA/KAJSA VILHUINEN/SINIKKA
LANGELAND/OVE BERG
Tirun Lirun - Skogfinske Runesanger
(Finnskogen Kulturverksted FiKCD 1959)
38 Tracks, 52:37; mit Infos (norwegisch)
Finnskogen heißt die Gegend in Norwegen, die sich zwischen den Städten Kongsvinger und Trysil an der schwedischen Grenze entlangzieht. Ab dem 17. Jahrhundert wurde dieses unwirtliche Gebiet von Finnen besiedelt, zu denen sich später Nichtsesshafte gesellten, in Norwegen "Tater" genannt (in manchen deutschen Reiseführern steht deshalb, dort hätten Tataren gesiedelt, was aber wirklich nicht stimmt). Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde in Finnskogen ein altmodisches Finnisch gesprochen, angereichert mit Romani-Anteilen, was die Gegend zu einem beliebten Aufenthaltsort für Volkskundeforschende aller Art machte. Ihre Sprache hat die Bevölkerung von Finnskogen längst aufgegeben (anders als die in Nordnorwegen siedelnden, ebenfalls finnischstämmigen Quänen), Musik und Brauchtum haben sich erhalten. Die alten finnischen Zaubersprüche, die "Runen" des CD-Titels, werden jetzt auf Norwegisch aufgesagt, und sie finden wir auf dieser "Jahrhundert-CD". Wachszylinderaufnahmen aus den Jahren 1905-35 (die Aufnahmen von 1905 sind kurioserweise die qualitativ klarsten) hören wir den Finnischen Wortklang, denn hier kommt die letzte Generation zu Wort, die diese Sprache im Alltag noch verwendete. Die Zaubersprüche erfüllen mancherlei Zweck, sie sorgen dafür, dass Kühe mehr Milch geben, dass Geschwüre verschwinden, Wespen nicht stechen, Liebhaber ihre Potenz behalten (im Zauberspruch wird das weniger zimperlich ausgedrückt). Sinikka Langeland, als Sängerin und Kantelespielerin längst bekannt, singt hier nur, für die Kantele-Begleitung sorgt Kollege Ove Berg. Zuerst hören wie die "Rune" auf Finnskogen-Finnisch, dann singt Langeland auf Norwegisch - und wie sie singt! Die Wachszylinderaufnahmen sind vielleicht nur für historisch Interessierte hörenswert, aber Gesang und Kantele machen die CD auch für andere zum Hörgenuss, und durch das reich bebilderte Beiheft ist sie auf jeden Fall eine kulturhistorische Fundgrube aller ersten Ranges.
Gabriele Haefs
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