backRezensionen Europa


THE CHIEFTAINS
The Wide World Over

(BMG 09026639172)
19 Tracks, 71:31; mit Infos

Man mag es kaum glauben: Sie feiern ihr 40-jähriges Bestehen und ihnen fällt immer noch was ein. Ich würde sagen, gefühltes Alter der "alten Männer" zirka 30 (da sind andere quasi schon tot). Aber so ist das eben, wenn man sich selbst nicht genug ist und sich pausenlos nach unterschiedlichster musikalischer Gesellschaft umschaut, seien es junge Sängerinnen (Sinead O'Connor: "The Foggy Dew", The Corrs: "I Know My Love"), Polizisten (Sting: "Mo Ghile Mear"), Männer alt wie Stein (The Rolling Stones: "The Rocky Road to Dublin"), alte Kauzer (Van Morrison: "Shenandoah"), Ikonen (Joni Mitchell: "The Magdalene Laundries"), chinesische Weisheitsträger (Chinese Ensemble "Full Of Joy") oder ausgeflippte Countrytypen (Ricky Skaggs "Cotton-eyed Joe") - und sich an den Wurzeln dann doch wieder selbst genügt (Live From Matt Molloy's Pub). Die Jubiläumsplatte bietet ausgewählte Titel einiger, längst nicht aller Platten, die die Häuptlinge vollbracht haben, und darüber hinaus auch noch neue Aufnahmen so unterschiedlicher Art wie Diana Krall & Art Garfunkel: "Morning Has Broken" (Brrr...), Ziggy Marley: "Redemption Song" oder die Fuchsjagd mit dem Cincinnati Pops Orchestra, bei der man tatsächlich die Hunde bellen und den armen Fuchs in den letzten Zügen japsen hört. Ein reich Irland-bebildertes Booklet kommt obendrein als Zugabe.

Kerstin Braun


BRASS MONKEY - Going & StayingBRASS MONKEY
Going & Staying

(Topic Records / Inakustik TSCD531)
11 Tracks, 55:23; mit Infos

Das englische Sextett (obwohl nur fünf Herren auf dem Cover zu sehen sind) spielt ein Konzept ohne Nachahmer. Martin Carthy (Gitarre) und John Kirkpatrick (Zieh- und Drückinstrumente) interpretieren mit einer vierköpfigen Bläsergruppe britische Folksongs (6x) und Tunes (5x). Das klappt meist bestens, die Bläser sorgen bei den Instrumentals für Schwung und Kraft, bei den Liedern schaffen sie Atmosphäre. Das Repertoire reicht von Holborne-Melodien (16. Jh.) über Playford (17. Jahrhundert) bis hin zu den einzigartigen Coconut-Dancers aus Lancashire. Das ist übrigens der einzige Track, wo die Bläsersektion die Führung übernimmt und das klingt teils wie..., na ja, wie eine x-beliebige Blaskapelle eben. Für diese Ausnahme gibt es beim CD-Spieler die Skip-Taste.

Mike Kamp


VERMICELLI ORCHESTRA
Anabasis

(WhiteHorse Music WHMCD002)
7 Tracks, 38:18

Es gibt sie noch, die unentdeckten Juwelen der Folklore. Scheiben, bei denen man sich nach den ersten Takten fragt, warum so eine Band noch nicht in Rudolstadt aufgetreten ist. Manchmal freilich muss man schon etwas länger nach diesen Schmuckstücken suchen. So findet die CD "Anabasis" erst nach vier Jahren den Weg nach Deutschland, oder genauer: nach Holland, denn hier ist sie leider noch nicht erhältlich. Das muss sich aber dringend ändern, denn das Vermicelli Orchestra bietet wirklich Unerhörtes. Zuerst glaubt man, französische Musiker vor sich zu haben, dann ist man sich sicher, ein Seitenprojekt der Gruppe Flairck zu hören, später glaubt man eher an eine Alpenländercombo, die versucht, keltische Wurzeln nachzuweisen. Alles ganz falsch, wie sich beim Studium des Booklets herausstellt. Das Vermicelli Orchestra ist russisch, und hinter der Band steckt Sergey Schurakov. Dieser war der Akkordeonspieler von Aquarium, der führenden russischen Undergroundkapelle um Mastermind Boris Grebenshikov. Russisch indessen klingt an dieser CD rein gar nichts. Auch beherrscht das geniale Akkordeonspiel nicht die CD, sondern reiht sich mühelos in die Phalanx von Mandoline, Flöte, Schlagzeug und Bass ein. Wenn überhaupt, ist Weltmusik das passende Prädikat. Das Vermicelli Orchestra hat es verdient, auf einem guten Label zu erscheinen. Jaro, Exil und ihr anderen, wo seid ihr?

Chris Elstroth


BANDA IONICA
Matri Mia

(Felmay/Dunya/Just records Babelsberg fy 8050)
11 Tracks, 45:44; mit Texten

Klappe auf! Wenn Banda Ionica losposaunen, läuft beim Publikum ein innerer Film ab. Federico Fellini und Emir Kusturica führen gemeinsam Regie. Matri Mia widmet die sizilianische Brass Band den Müttern, den Frauen, den Geliebten. Und da Sizilianer ganz schön heißblütig sind, bleibt kein Auge trocken. Lachen und Weinen, Leben und Tod, liegen bei diesem Film nah beisammen. Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt die fünf GastsängerInnen. El Mono Loco, Leadsänger von Macaco, einer der schrägsten katalanischen Bands, schreit sich im spanisch gesungenen "Espinita" den Schmerz aus dem Leib. Wenn die Dornen ihn stechen, kreischen die Bläser der Banda Ionica auf. Doch die Szene wird noch dramatischer: Der Gesang des Franzosen Artur H macht glauben, Tom Waits singe Opernarien. Ganz anderes Cristina Zavalloni: Mit Brecht-Weill-erprobter, tonreiner Stimme legt sie sich mit den schiefen Bläsern der Banda Ionica an. "Meine Ruhe ist hin, kalt ist mein Herz" endet der Traditional "Santissima dei Naufragi". Meine Ruhe ist auch hin, doch mein Herz ist warm. Dunya Records wollten ihr musikalisches Repertoire mit dieser Produktion erweitern. Das ist ihnen zweifellos gelungen. Klappe zu!

Martin Steiner


SLIABH NOTES
Along Blackwater's Banks

(Ossian OSS CD 130)
13 Tracks, 53:23; mit Texten und Infos

Wen wundert es denn noch, dass, wenn man drei irische Profis der traditionellen Musi zusammenwirft, da nur das Allerfeinste rauskommt? Eben. Und dafür gibt es Hunderte Beispiel, so dass manfrau schon gar nicht mehr weiß, was ersie darüber noch Neues schreiben soll. Falls es also jemand noch nicht weiß: Sliabh Notes sind Matt Cranitch (Fiddle), Dónal Murphy (Akkordeon) und Tommy O'Sullivan (Gesang, Gitarre) und haben sich noch ein paar Gäste dazugeholt wie Colm Murphy, Matt Molloy, Brian McGrath oder Steve Cooney, um auch noch Bodhrán, Flöte, Keys und eine anders gespielte Gitarre mit im Programm zu haben. Wie der Name andeutet, gehören sie zu den nicht wenigen Musikern, die sich der Magie der Musik aus der traditionsschwangeren Region Sliabh Luachra unterworfen haben, was aber gelegentliches Fremdgehen nicht ausschließt: So stammt einer der drei Songs aus Neufundland und ein anderer, "Grey Funnel Line", ist gar ein komponiertes Lied aus den Tagen der Dampfschifffahrt. Dies erfahren wir aus den minutiösen Beschreibungen im Booklet, die auch für die Sets aus Jigs, Reels, Hornpipes, Polkas und Slides keine Herkunftsfragen offen lassen.

Kerstin Braun


BERT JANSCH
Nicola

(Transatlantic CMRCD333)
14 Tracks (2 Bonus-Tracks), 39:19

Birthday Blues

(Transatlantic CMRCD334)
12 Tracks, 33:04

Rosemary Lane

(Transatlantic CMRCD 335)
13 Tracks, 37:30

Re-Release der Solo-Alben vier bis sechs des schottischen Gitarristen, der damals, als sie in Vinyl erschienen (1967, 1969, 1971), zunehmende Erfolge mit Pentangle feierte. Ja, Bert Jansch hätte, wie Pete Frame es ausgedrückt hatte, Britanniens Neil Young werden können. Andere wollten aus ihm einen zweiten Donovan machen. Auch nichts geworden. Teils konnte, teils wollte er nicht. Bert Jansch liebte die Stadt und das Unbekannt-Bleiben, das Musikmachen und die Einsamkeit. So sind denn auch diese Alben Spiegelbild seiner Introvertiertheit. Die meisten Songs hat Bert Jansch selbst geschrieben, auf "Birthday Blues" sogar alle, auf "Rosemary Lane" folgt er partiell John Renbourns Spuren ins Mittelalter, und daneben finden sich mehrere traditionelle Folksongs. Und doch, alle drei Alben wären am ehesten in die Kategorie Folk-Blues einzureihen, mit einem großen B. "Come Sing Me A Happy Song" heißt der Opener von "Birthday Blues", aber wer nachglücklichen Momenten in der Musiksucht, sollte lieber zu anderen Platten greifen. Depressiv sind sie auch nicht, diese Lieder, eher melancholisch, wehmütig, und selbst wenn Jansch singt, "Love is pleasing, love is teasing" (auf "Nicola"), meint man, seine ureigenen Fragezeichen dazu zu hören, so als ob er über etwas sänge, das er nur vom Hörensagen kennt. Keine Platte erreicht die Intensität seines überragenden Meisterwerks, seines schlicht "Bert Jansch" betitelten Debüts von 1965. Aber es sind hier eine Reihe großer Aufnahmen zu finden- und je solistischer er sie vorträgt, desto größer. Nichts gegen die Mitmusiker auf den anderen Aufnahmen, aber sie verwässern Bert Janschs Ausdruckskraft. Alleine ist er am stärksten! Deswegen ist auch "Rosemary Lane" die beste Platte dieses Triplets- es ist die einzige, auf der nur Bert Jansch, Gitarre und Gesang, zu hören ist.

PS. Jedes Booklet enthält Anmerkungen zur historischen Einordnung der Aufnahmen durch den Journalisten Colin Harper, Autor des Buches "Dazzling Stranger: Bert Jansch and the British Folk and Blues Revival".

Bernhard Hanneken


JEAN VAN ADORP
stenenmann - Muzikaal monument

(Stichting Holländerei HDS 000 401)
14 Tracks, 58:42; mit Texten und Infos

Zur unrühmlichen Vergangenheit Großdeutschlands gehören halt auch die Naziverbrechen. Obwohl neutral wie die Schweiz, wurden die Niederlande fast genau fünf Jahre vor der Kapitulation von deutschen Truppen überfallen. Ich weiß, in den Niederlanden gab es zu Beginn der Besatzungszeit noch ein Haus, in dem jüdische Künstler auftraten - zwangsweise mit dem Davidstern. Nichtjüdische Besucher kamen dorthin mit dem Judenstern - solidarisch, um den Künstlern die Scham zu nehmen. Dieser Mut macht mir die "Holländer" arg sympathisch. - Jean Van Adorp setzt den Opfern jener Zeit ein musikalisches Denkmal. Die Lieder bezeugen Gewalt und Menschenverachtung, spiegeln aber - und dabei erinnern sie an jiddische Tanzlieder - auch Lebensmut und Freude der Überlebenden. Viele Melodien klingen bekannt. Der Text ist im Booklet wiedergegeben. Man braucht keine Bedenken zu haben, das Niederländisch nicht zu verstehen. Gesungen ist der Text sogar einfacher zu begreifen als gesprochen. Durch die Texte bekommt wohl jeder seinen persönlichen Bezug zu den Liedern.

Stephan Rögner


BERROGÜETTO
Hepta

(Boa Music/Colección Do Fol 29)
13 Tracks, 54:23; mit Infos

Der zweiten CD dieser galizischen Ausnahmeband, der ersten im Folker! rezensierten, wurde seinerzeit (3/2000) die Auszeichnung "Die Besondere" zuteil. In gleicher Besetzung, mit vielen Gästen, knüpft das neue Album an diese Qualität nahtlos an: größtenteils neu geschriebene Stücke, die klingen wie neu arrangierte Traditionals. Soundbestimmend sind die Gaitas, das Akkordeon, die Stimme von Guadi Galego und dezente Saiteninstrumente. Mühelos gelingt der Gruppe der Spagat zwischen der Dominanz der eigenen Quellen und modernem Arrangement, wobei das letztere besondere Aufmerksamkeit (am besten unter dem Kopfhörer) verdient. Ich kenne wenige Gruppen auf der europäischen Folkszene, denen Aufbau und Dynamik der Stücke sowie die Übergabe der Melodieführung so perfekt gelingt wie Berrogüetto. Wo anderswo Anleihen bei anderen Musikkulturen und -sparten zu einem Flickenteppich gerinnen, der dann Worldmusic genannt wird, bleibt das hier in den Grenzen, die das Stück jeweils erfordert und erlaubt. Wie schon bei der zweiten CD verdient auch die Aufmachung von Cover (hübscher Pappkarton) und Beiheft (Armando Lago) und die Photos (Georges Rousse) eine Erwähnung. Einziger Wermutstropfen ist die Irritation aufgrund des Vergessens des 6. Titels ("Samesugas") im Booklet (der dortige 6. ist der 7. usw.), und ein Hidden-Track (ich hasse sie) ist natürlich keiner, wenn er avisiert wird. Der Musik tut das indes keinen Abbruch. Einer meiner Favoriten auf die CD des Jahres.

Andel Bollé


THE McCALMANS - Where The Sky Meets The SeaTHE McCALMANS
Where The Sky Meets The Sea

(Greentrax Recordings/FMS CDTRAX 232)
15 Tracks, 52:28; mit Texten

Diese CD war sicherlich eine, wenn nicht die schwierigste Platte in der 38jährigen Karriere der Gruppe. Die erste CD nach dem viel zu frühen Tod von Gründungsmitglied Derek Moffat macht deutlich, wie sehr seine kräftige Stimme die typischen "Macs"-Harmonien prägte. Der neue Mann Stephen Quigg macht klugerweise erst gar nicht den Versuch, Derek zu ersetzen. Seine Stimme ist wesentlich sanfter, das wird vor allem beim Burns-Klassiker "Ae Fond Kiss" deutlich und das konnten die Zuhörer auf der Frühjahrstournee durch Deutschland erleben. Die "Macs" machen im Prinzip weiter wie gehabt mit ihrem weiten Spektrum an Liedthemen: sozial-politisch ("Women Of Dundee"), traditionell ("Gallant Murray"), zeitgenössisch ("Galway To Graceland") und selbstverfasst ("Applecross Bay"). Nur ein humorvolles Stück sucht man vergebens. Die generelle Stimmung auf der CD empfinde ich eher als gedrückt. Kein Wunder, so schnell heilt die Zeit eben doch keine Wunden.

Mike Kamp


LIRZHIN
La Ballade d'un Paysan Bas-Breton

(Keltia Musique RSCD252)
33 Tracks, 43:02; mit Infos

Am Anfang war das Buch. "La Ballade d'un Paysan Bas-Breton", so hießen die Memoiren des Jean-Marie Déguignet, die dieser Ende des 19. Jahrhunderts kurz vor seinem Tod verfasste. Es war die Geschichte eines bretonischen Kuhhirten, der sich selbst lesen und schreiben beibrachte, französisch lernte und dann mit der Armee Napoleons III die Welt ‚bereiste'. Zurück in der Bretagne scheiterte der zum antiklerikalen Anarchisten gewordene Déguignet sowohl beruflich wie auch privat und starb verarmt. Die vorliegende CD ist eine musikalische Bearbeitung dieser Lebensgeschichte in 17 relativ kurzen Motiven, jeweils verbunden durch gesprochene Zwischentexte. Komponiert hat das Werk der Bombardenlehrer Pascal Rode, der auch das erst im Jahr 2000 gegründete Ensemble Lirzhin leitet. Lirzhin besteht aus Bombarden, Saxophonen, einer Oboe und einem Dudelsack, wobei die Arrangements überwiegend kammermusikalischen Charakter haben. Gut gelungen sind vor allem die bretonischen Themen, etwas bizarr wirkt es aber, wenn das Bombardenensemble den Mexiko-Feldzug mit "La Bamba" illustriert oder eine Reise nach Jerusalem mit einem (osteueropäischen) Klezmer-Stück. Und wer hört schon gerne eine CD, bei der ständig dazwischen geredet wird? Aber nachdem schon das Buch völlig überraschend zum Bestseller wurde - Erstauflage waren 2500, inzwischen sind 250 000 Exemplare verkauft - könnte auch diese CD ein ökonomischer Erfolg werden.

Christian Rath


MOVING CLOUD
Cuckanandy

(GO' Danisk Folk Musik GO 0102)
12 Tracks, 46:22; mit Texten und Infos

Jetzt spinnen die Dänen auch schon. Da haben sie nun selbst so wunderbare Volksmusik, aber nein! Sobald irgendwo auf der Welt eine Herde Iren auftaucht, die nichts besseres zu tun haben, als alle Stämme dieser Welt mit dem Virus ihrer Musik zu infizieren, fallen sogar die coolen Dänen drauf rein. Plötzlich verwandeln sich anständige Aarhuser Bürgerinnen und Bürger in einen Haufen bodhránklöppelnder, in höchsten Tönen flötender, bouzoukizupfender, groovig fiedelnder und engelsgleich singender Iren. Ja, man glaubt wirklich, Iren im Ohr zu haben, wenn man diese Herde so hört, aber eigentlich ist es völlig egal, was man glaubt, weil, die sind einfach gut! Sie haben Ideen (ich denke nur an die naheliegende, aber dennoch überraschende Verbindung von "The Rocky Road to Dublin" und "The Butterfly"), ein geschicktes Arrangierhändchen (wahrscheinlich viele) und Groove. Und dabei hat man doch viele der Stücke schon mehr als einmal gehört, aber der unkonventionelle Gesangsstil von John Pilkington - aha! Ausländer! Und dann auch noch Engländer! - lässt das alles verblüffend neu klingen. Nur den ollen Gassenhauer von der dreckigen alten Stadt hätten sie wegen mir gut ausfallen lassen können (auch wenn diese Swingjazzversion schon sehr außergewöhnlich ist). Aber da Svend Kjeldsen an anderer Stelle so verschmitzte Percussionteile spielt, tun wir einfach, als hätten wir's überhaupt nicht bemerkt.

Kerstin Braun


OBLOMOW
Sporen

(wild boar music wbm 21031)
13 Tracks, 61:17; mit fläm. und kurzen engl. Infos

TRIO TRAD
dto.

(wild boar music wbm 21026)
16 Tracks, 63:43; mit Infos in frz., engl. und fläm.

AMORROMA
Op Voyage

(wild boar music wbm 21025)
13 Tracks, 63:19; mit Infos in frz, engl. und fläm.

(BUB)
dto.

(wild boar music wbm 21920)
12 Tracks, 46:22; mit wenig Infos

TREF
Accordeon Diatonique

(wild boar music wbm 21027)
11 Tracks, 52:04; mit Infos in frz. und fläm.

SHANTALLA
Seven Evenings, seven mornings

(wild boar music wbm 21030)
12 Tracks, 53:10: mit engl. Texten sowie Infos in engl., frz und fläm.

Für Wild Boar Music, das Label, das den Folk-Boom in Belgien ganz wesentlich mit angeschoben hat, hat dieser Erfolg durchaus einige Schattenseiten. Während die großen belgischen Plattenfirmen jetzt die Talente einsammeln, hat Wild Boar Music immer wieder das Nachsehen. So wurden Gruppen wie Lais und Ambrozijn zwar bei Wild Boar groß, inzwischen sind sie aber bei Virgin unter Vertrag. Vielversprechende neue Bands wie Troissoeur und Olla Vogalla hätte Wild Boar Music gerne betreut, doch sie gingen gleich zum EMI-Ableger Zoku. Wild Boar-Boss Erwin Libbrecht hat sich allerdings nicht beleidigt in die Ecke gestellt, sondern neue interessante Projekte angepackt.

Da ist zum Beispiel Oblomow, eine sechsköpfige Gruppe, die zusammen mit vielen Gastmusikern die spannende CD "Sporen" (dt. Spuren) eingespielt hat. "Eindrücke nehme ich nicht mit, Eindrücke lasse ich hinter mir", ist ihr Motto. Die meist von Gitarrist Gerry de Mol komponierten Stücke haben europäische, orientalische und mediterrane Einflüsse verarbeitet. Sängerin Eva de Roovere ist sonst bei Libbrechts Folkrockband Kadril aktiv.

Das Trio Trad besteht aus den beiden GeigerInnen Aurelie Dorzée und Luc Pilartz, beide mit Konservatoriums-Ausbildung, sowie dem Akkordeonisten Didier Laloy. Dorzée und Laloy spielten schon einmal bei der belgischen Band Pantha Rei zusammen. In kontrolliert-lebhaftem Stil mixen sie selbstkomponierte und traditionelle Folkmusik aus ganz Europa, von der Polska bis zur Tarantella, vom Reel bis zum Csardas. Eine Tanzband sind sie wohl aber nicht.

Amor Roma liest sich von vorn und hinten gleich, ist also ein Anagramm - und zugleich ein Projekt von Flötist Jowan Merckx, der fast alle Stücke dieser CD selbst geschrieben hat. Wie das Trio Trad macht er (zusammen mit zwölf Gastmusikern) bunt gemischte Europamusik. Das Stück "Lena" beschreibt Merckx etwa als "portugiesischen Polskamusettereel". Mir klingt aber alles etwas zu gefällig. Vielleicht ist Co-Produzent Rudy Velghe daran schuld. Bei seiner Band Orion hat er ja genug Erfahrung mit Schmuse-Folk gesammelt.

Der Höhepunkt im jüngsten Wildboar-Programm ist die Band (bub), wobei ich auch nicht weiß, ob die Klammer um den Bandnamen mehr als nur auffallen soll. Aufmerksamkeit hat die Band aber unbedingt verdient. Tolle Melodien, alle aus der Feder von Dudelsackspieler Kim Delcour, und bemerkenswerte Arrangements. Mit dabei ist auch Akkordeonistin Greet Garriau von der Tanzband Fluxus. Ansonsten setzt das Sextett noch E-Gitarre, E-Bass, Schlagzeug, Saxofon und Samples ein. Diese CD ist ein echtes Kleinod.

Beim Projekt Tref kamen drei Akkordeonisten zusammen: Bruno Le Tron aus Paris und die beiden Belgier Didier Laloy (Trio Trad, s.o.) und Wim Claeys (Ambrozijn). Sie spielen zu zweit oder dritt und haben alle auch Kompositionen beigesteuert. Eine schöne CD, vor allem für Akkordeon-Fans.

Die Gruppe Shantalla fällt in zweierlei Hinsicht aus dem Rahmen. Zum einen ist sie als einzige der hier vorgestellten Bands und Projekte schon länger bei Wild Boar unter Vertrag, zum anderen ist sie eine keltische Exil-Band, die eher zufällig in Belgien lebt. Sängerin Helen Flaherty kommt aus Schottland, die vier Instrumentalisten aus Irland. Ihr zweites Album "Seven Evenings, Seven Mornings" bestätigt den hervorragenden Eindruck, den die Band von Anfang an hinterlassen hat. Vergleiche mit Altan und Solas beschreiben nicht nur den Stil, sondern zeigen auch, in welcher Liga Shantalla spielen.

Mit Wild Boar Music ist also - glücklicherweise - weiter zu rechnen.

Christian Rath


MAITE MARTÍN
Querencia

(Tropical Music 68.824)
9 Tracks, 35:39, Videozusammenschnitt 9:22; mit dt/span. Texten und Infos

Mayte Martíns Flamenco widersetzt sich einer einfachen Katalogisierung. Wo andere sich mit rauer Stimme den Duende, das kreative Teufelchen, aus der Seele hervorlocken, setzt sie mit reiner Stimme dagegen. Auf jede Silbe legt die Katalanin Wert. Mit ihrem Zweireiher liegt die Paya, die Nicht-Zigeunerin, auch optisch weit weg von ihren Gitano-Kolleginnen aus dem fernen Andalusien. Darf Mayte Martín das? Klar doch, denn das ist nicht die Flamenco-Juerga der Kneipen. "Querencia" ist Flamenco für Konzertsäle. Bei Mayte Martín ist jede Silbe klar gesetzt, jede Phrasierung überlegt, genau so die eher sparsame Begleitung. Ihr Gitarrist, Juan Ramón Caro, setzt gezielt gitarristische Akzente. Da bricht kaum ein wildes Rasqueado aus, keine unnötige Gitarrenakrobatik wirbt um Aufmerksamkeit. Flamenco ist nicht erst seit Maite Martín Kunstmusik. Wo andere aber aus den festen Strukturen ausbrechen, um Flamenco etwa mit Jazz zu verbinden, sucht die Katalanin die Wurzeln des Cante. Ihr großes Vorbild, la Niña de los Peines, war Anfang des letzten Jahrhunderts die vielleicht wichtigste Stimme des Flamenco. Maite Martín hat die Eigenständigkeit, eine der wichtigsten Cantaoras für das neue Jahrhundert zu werden.

Martin Steiner


DANÚ
All Things Considered

(Shanachie/Koch 78049)
14 Tracks, 54:49; mit Texten engl./ir.

Die BBC verlieh ihnen einst den Titel "Folk Band des Jahres"; Kritiker schrieben, es handle sich um die aufregendste traditionelle irische Band, die im neuen Jahrtausend entstanden sei. Ob dies des Lobes zu viel sei, möge jeder selbst entscheiden. Fakt ist, dass Danú es verstehen, mit Fiddle, Flute & Whistle, Uilleánn Pipes und Akkordeon als Melodieinstrumente und Gitarre, Bouzouki und Bodhrán Tunes mit ordentlichem Drive zu spielen und im nächsten Moment ihrem Sänger Ciarán Ó Gealbháin einen Teppich auszubreiten, auf dem dieser, entspannt zurückgelehnt, mit einer Stimme, die sehr an Andy Irvine erinnert, seine Songs vortragen kann. Sie führen damit eine Linie fort, die vielleicht mit Planxty begann, sich über Patrick Street (und dann schon viele andere) fortsetzte, und heute immer noch von jungen Bands aufgegriffen und auf eigene Weise umgesetzt wird (übrigens "beschränken" sich Danú dabei fast ausschließlich auf traditionelles Material). "All Things Considered" ist das also so völlig neu nicht, aber bei solch professioneller Ausführung (und aufnahmetechnischer Umsetzung) immer wieder schön.

Kerstin Braun


JAQUES STOTZEM
Sur vesdre

(Acoustic Music Records/Zomba 319.1260.2)
8 Tracks, 42:50

Der belgische "Alt"meister auf der akustischen Steelstring Gitarre liefert einmal mehr den Beweis für seine Ausnahmestellung in der riesigen Schar von Saitenartisten. Feine sangbare melodische Linien kleidet Stotzem in klare harmonische Gewänder. Es gibt Momente großer Intimität und emotionaler Dichte, da hält man den Atem an "um ihn nicht zu stören". Es scheint fast so als hätte er, zumindest zeitweise, vergessen, dass diese Musik Zuhörer haben könnte. Da spielt ein großer Gitarrist ganz für sich und macht uns damit das größte Geschenk: Musik um ihrer selbst willen. Einige wenige "Losgeh"- Nummern lockern das lyrisch-introvertierte Gesamtbild auf. Keine Schnitte, keine Overdubs - eine Seltenheit im Reich der tausend und einen Studiomöglichkeit - aber er hat's auch gar nicht nötig. Und einordnen mag man ihn erst recht nicht. Jaques Stotzem, das ist mittlerweile eine Klasse für sich.

Rolf Beydemüller


ASHLEY HUTCHINGS - Street CriesASHLEY HUTCHINGS
Street Cries

(Topic Records/inakustik TSCD535)
12 Tracks, 47:56; mit Texten

DIVERSE
The Future Sound Of Gaeldom

(Survival Records SURCD 026/Indigo)
15 Tracks, 63:43

Die Idee ist bestechend! Wenn junge Leute heute nichts mehr mit traditionellen englischen Liedern anfangen können, dann muss man die Texte aktualisieren. So wird durch die Bearbeitung von Albion Band-Chef Hutchings aus dem Piraten "Young Henry Martin" ein Autodieb, in den "Salford Girls" geht man tatsächlich in den Aldi und den Tod des jungen Mannes in "My Bonny Boy" hat ein Dealer verursacht. Das klingt nach hier und jetzt, aber wichtig sind neben Texten auch Sprache und Musik und die ist trotz oder gerade wegen großen Namen wie Dick Gaughan, June Tabor oder Steve Knightley ganz klar aus dem letzten Jahrhundert. Empfehlenswert für die Altersklasse 40 plus.

Menschen diesseits des Bergfestes werden wahrscheinlich am Gaeldom-Sampler mehr Gefallen finden. Die Namen der Künstler stehen für Experimentierfreude und moderne Ideen: Capercaillie, Peatbog Faeries, Shooglenifty, Tartan Amoebas, Martyn Bennett (s. separate Rezension) oder Salsa Celtica. In den Topf mit den schottischen Traditionen und gälischen Texten kommen Dance Beats, Loops und Samples sowie Anklänge aus dem Balkan, Arabien oder Südamerika. Das Resultat ist eben kein undefinierbarer Brei, sondern akteulle Musik mit ganz deutlichen schottischen Wurzeln. Einige der Alterklasse 40 plus werden die CD nicht so besonders gut finden, aber trotzdem stimmt der Titel: Das ist (u.a.) die Zukunft!

Mike Kamp


KIMMO POHJONEN - KlusterKIMMO POHJONEN
Kluster

(Indigo/Westpark Music)
10 Tracks, 57:07

Achtung, die Finnen kommen! Nach Finnen, die einfach nur 08/15-Mucke liefern, muss man scheinbar länger suchen, als nach außergewöhnlichen bis völlig abgedrehten finnischen Musikern. Woran liegt's? Ist das eine Art Ersatzdroge im Land der überhöhten Alkoholsteuer? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass dieses Album mal wieder alles, was wir an Akkordeon bisher gehört haben, in den Schatten stellt.

Einer von Finnlands aktivsten Musikern, der von Rock, Folk (vier Mal hintereinander finnischer Folk-Musiker des Jahres), Klassik bis Jazz die wichtigsten Genres absolviert hat, legt nach "Kielo" (1999) seine zweite Platte vor. Nun, und wie beschreiben wir deren musikalischen Inhalt am Besten? Gute Frage. Diese Mischung aus Akkordeon und moderner Technik hat auf jeden Fall das Zeug, Rockfans, Jazzliebhaber, Weltmusikkenner und Avantgardefreaks gleichermaßen anzusprechen.

Dank Kimmo Pohjonen sind bald Effektgeräte nicht mehr nur bei Gitarren, sondern auch bei Akkordeon Usus. Der Finne experimentiert vielfältig und gekonnt mit ihnen. Viel wichtiger ist für ihn allerdings der Loop-Sampler geworden. Diesen verwendet er sowohl für Instrument als auch für Stimme. So entsteht das Gefühl, nicht nur ein Akkordeon zu hören, sondern zwei, nicht nur eine Stimme, sondern eine Vielfalt an Stimmen und Geräuschen zu hören. Kurz: ein außergewöhnliches Sounderlebnis, das sich nur schwer beschreiben lässt. Deshalb: Unbedingt hören!

Claudia Frenzel


HAUK BUEN
Bridal March

(Global Village CD 817)
24 Tracks, 73:14; CD mit Infos, Englisch

KRISTIN GULDBRANDSEN, OLE AASTAD BRÅTEN; TORE BOLSTAD, VIDAR UNDERSETH
Chant et Hardingfele/Song and Hardingfele

(Ocora C 5601578)
31 Tracks, 56:13; CD mit Infos, franz./engl.

Altmeister Hauk Buen legt eine ungeheuer aktuelle CD vor, möchte man meinen, doch der Hochzeitsmarsch, dem die Scheibe ihren Titel verdankt, stammt aus dem Repertoire des in Seljord beheimateten Geigers Øystein Langedrag (1786-1848) und bezieht sich damit einwandfrei nicht auf die allseits beliebte norwegische Prinzessin Märtha Louise. Ähnlich altehrwürdig sind auch die anderen auf dieser reinen Instrumental-CD versammelten Stücke, fast alle stammen sie aus dem Fundus von Spielleuten, deren Lebenszeit das 19. Jahrhundert gestreift hat, und gleich mehrere stammen dem berühmtesten von allen. Torgeir Augundson, besser bekannt als Myllarguten. Obwohl aber Myllarguten und seine Kollegen allesamt aus Telemark stammten, finden sich dort, und damit auf der CD, eine Vielzahl von Einflüssen von anderswo, eingeschleppt z.B. durch den bereits erwähnten Herrn Langedrag, der in der dänischen Armee Dienst tat und sich von der dortigen Militärmusik inspirieren ließ. Solide Arbeit, gespielt von einem großen Geiger, auch als Einstieg in die norwegische Musik zu empfehlen

Das läßt sich auch für CD Nr. 2 sagen, auf der auch gesungen wird (und zwar von Kristin Gulbrandsen, die sie begleitenden Herren spielen Langeleik und Hardingfele). Auch sie greifen auf ältere Spielleute zurück, bringen vor allem Springer, und außerdem wollen sie durch die Lieder auf der CD auch die verschiedenen Dialekte ihrer Heimatregion vorzeigen - was wunderschön klingt, vielleicht aber doch eher etwas für Leute mit Norwegischkenntnissen ist.

Gabriele Haefs <