backRezensionen Asien


SHUJAAT KHAN / TEJENDRA NARAYAN MAJUMDAR
Raga Lalit
(IAM CD 1043)
71:13

TEJENDRA NARAYAN MUJUMDAR
Raga Ahiri / Raga Bhairavi
(IAM CD 1044)
62:32 / 15:31

USTAD VILAYAT KHAN
Raga Enayetkhani Kanada
(IAM CD 1045)
77:00

SHUJAAT KHAN
Raga Bilaskhani Todi/Raga Bhairavi
(IAM CD 1046)
66:21 / 9:10

Dass diese vier CDs 'im Paket' rezensiert werden können, hat familiäre, schulische und freundschaftliche Gründe. Denn anders als in einer notierten Kunstmusik (wie der unsrigen), ist es bei einer oral tradierten Kunstmusik geradezu unerlässlich, musikalisches Wissen direkt an Familienangehörige, Freunde oder Schüler weiterzugeben.

Kommen wir zu den Protagonisten der vier Tonträger: Ustad Vilayat Khan ist neben Ravi Shankar und dem verstorbenen Nikhil Banerjee der weltweit wohl angesehenste und bekannteste Sitar-Virtuose. Shujaat Khan ist Sohn von Vilayat und hat sich wie sein Vater für die Sitar als Hauptinstrument entschieden; sein Duett-Partner T.N. Majumdar spielt die Kurzhalslaute Sarod und war lange Zeit Schüler von Vilayat, bevor er sein Sarod-Studium bei Ali Akhbar Khan vollendete.

Sieht man mal von den beiden kurzen Varianten des „Ragas Bhairavi“ ab, der bei vielen indischen Musikern ähnlich gerne als Zugabe verwendet wird, wie bei hiesigen Klassik-Gitarristen „Greensleeves“ oder das „Arajuez“ -Thema, so hören wir hier zumeist eher seltene Stücke. – Der „Raga Lalit“ gehört zwar zu den ältesten und beliebtesten Werken indischer Klassik, ist aber hierzulande nicht übermäßig oft auf Tonträger dokumentiert worden. Nach einer ausgedehnten ruhigen Phase der Einstimmung spielen sich Shujaat und Majumdar dann aber so temporeich die Töne zu, dass man um die Legende des Ragas (Geliebter verlässt leise das Lager der Geliebten im Morgengrauen) fürchten muss; stattdessen haben hier wohl zwei Wecker geklingelt! Ein virtuoses Duett.

Für seine Soloaufnahmen hat Tejendra Majumdar dann ein Kleinod hervorgezaubert: „Ahiri“, einen sehr alten, in der ursprünglichen Fassung heute kaum noch gespielten, Raga, wenn überhaupt, dann eher im Kombipack mit Bhairavi als „Raga Ahir Bhairav“. Majumdar, hier befreit vom Agieren-Reagieren der vorherigen Aufnahmen, lotet in beeindruckender Weise die Tiefen dieser uralten Musik aus, stellt Klänge in den Raum, zerdehnt Pausen, und schafft so aus Archaischem ein zeitgenössisches Kunstwerk.

Und was macht der Maestro, der Meister, der 'Ustad', der diesen Titel bereits mit 17 Jahren führen durfte (das hinduistische Pendant zu 'Ustad' ist übrigens 'Pandit')? Nun, der greift ganz tief ins Archiv und präsentiert eine Eigenkomposition, eine Hommage an seinen Vater und Lehrer Enayet Khan, basierend auf den Skalen des sehr bekannten und beliebten Mitternacht-Ragas „Darbari Kanada“. Die Interpretation des „Enayetkhani Kanada“ betitelten Hybriden zeigt einmal mehr, dass die Interpretation musikalischer Kunstwerke immer auch eine Altersfrage ist, darin unterscheidet sich die westliche Kunstmusik in keinster Weise von der östlichen. Über eine halbe Stunde lang improvisiert Vilayat Khan über die Melodie des Ragas, doch diese halbe Stunde wird nur auf dem CD-Display sichtbar. Im zweiten, knapp viertelstündigen, Teil spinnt Vilayat dann den melodischen mit dem rhythmischen Faden zusammen, bevor schlussendlich Tabla-Spieler Akram Khan den perkussiven Part übernimmt und nach einer weiteren halben Stunde das Werk zu einem virtuosen Ende kommt. Doch anders als bei den jungen Sitaristen wird auch hier nicht gebolzt, Vilayat und Akram spielen zwar schnell und kunstvoll, aber immer auch hör- und nachvollziehbar. Im wahrsten Sinn des Wortes halt: Meisterhaft!

Bis zu diesem Punkt hat Vilayats Sohn Shujaat natürlich noch ein gutes Stückchen Wegs vor sich. Seine Interpretation des Morgen-Ragas „Bilashkani Todi“ und der neunminütigen Fassung von „Bhairavi“ zeugt indes von Spielwitz, Schnelligkeit und famoser Beherrschung des Instruments. Interpretatorische Größe ist, ich sagte es bereits, aber wohl eine Frage des Alters. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Shujaat 35 Jahre alt.

Walter Bast


AZIZA MUSTAFA ZADEH
Shamans
(Decca, Promo-Copy ohne Nummer)
14 Tracks, 68:20; Promo-CD ohne Booklet

Aus drei Komponenten bestehe Aziza Mustafa Zadehs Musik, vermeldet ihre neue Plattenfirma: Klassik, Jazz und Mugam, der traditionellen Musik ihrer aserbaidschanischen Heimat. Die neue Exklusiv-Künstlerin dementiert dies nicht. Der Kritiker wagt den Umkehrschluß und konstatiert, was ihre Musik zu zwei Dritteln eben nicht ist: Klassik, Jazz und Mugam.

Bei der Herstellung von Genussmitteln dienen Mischungen der Standardisierung eines Markenprodukts. Meist jedoch verlernen die Konsumenten dadurch den Eigengeschmack der einzelnen Zutaten. Wer also auf der vorliegenden CD die reine Lehre von Klassik, Jazz oder Mugam sucht, ist bei der falschen Veranstaltung. Was man stattdessen zu hören bekommt, ist Generalismus pur: von vielem ein bißchen, nix richtig, aber das, unstreitig, auf spieltechnisch hohem Niveau. Und dem Kritiker fallen bei jeder Gesangsphrase, bei jedem Klavierakkord die Leute ein, die's wirklich drauf haben (und hatten): Cathy Berberian und Martha Argerich für die Klassik, Betty Carter und Aki Takase für den Jazz und Vater & Tochter Qasimov für den Mugam. Im Musiktheater der Aziza Mustafa Zadeh bleiben für die Kunst dieser Menschen leider nur Fundus oder Souffleurkasten.

Walter Bast


JEFFAR LUMBAN GAOL ENSEMBLE
Bona Ni Ogung – The Tree Of Life
(Intuition INT 3330-2)
7 Tracks, 59:16; mit Infos

Der Komponist und Musiker Jeffar Lumban (Jg. 1964) aus Nordsumatra hatte sich nach seinem Studium in Jakarta überwiegend mit zeitgenössischer europäischer Musik befasst. Nach dem Tod seines Großvaters fand Lumban in dessen Nachlass ein Ensemble alter Bronzegongs. Das brachte ihn dazu, sich intensiver mit der Musik seines Volkes, den Batak, zu beschäftigen. Diese „gondang“ genannte Form der Sakral-Musik wurde ausschließlich bei Beerdigungen, Hochzeiten etc. aufgeführt, bekam aber unter dem Einfluss der Christianisierung in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine „weltliche“ Schwester, „gondang uning-uningan“ genannt, eine Paraphrase der, von den Missionaren aus ihren Heimatländern mitgebrachten, Vokal- und Instrumentalmusik. (Beim Hören der entsprechenden Stücke dieser CD meint man fast herausfinden zu können, ob der Missionar Ire, Franzose, Italiener oder gar Lateinamerikaner war...!) Parallelen zur Entwicklung von Ragtime, New-Orleans-Jazz oder japanischer Ching-Dong-Musik sind auch hier nicht von der Hand zu weisen.

Nun, wie das alles damals geklungen haben könnte, davon gibt uns die CD von Jeffar Lumbans Gaol Ensemble einen vorsichtig-subjektiven Eindruck. Nicht allzu rau, sehr „westlich“, fast schon wohltemperiert. Mit Gamelan, wie auf der berühmten Schwesterinsel Bali, hat Gondang – trotz der verwendeten Bronzegongs – jedenfalls herzlich wenig zu tun.

Walter Bast


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