Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder vier CDs, die aus der Masse herausragen:
Indien | DEBASHISH BHATTACHARYA |
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Italien (Süd) | UARAGNIAUN |
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Italien (Nord) | TRE MARTELLI |
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Südamerika | DIVERSE |
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DEBASHISH BHATTACHARYA
(India Archive Music IAM-CD 1042)
7 Tracks, 72:53; mit ausführl. Infos
Die Gitarre ist im indischen Musik- Kosmos ein noch junges Instrument. In den 30er Jahren kam Lapstyle-playing von Hawaii nach Indien (Tau Moe) zurück, gelangte doch das Slide-Spiel 200 Jahre vorher von hier aus nach Hawaii.
Battacharya gehört neben W. M. Bhatt oder Prashanna zu den wichtigsten Innovatoren und Protagonisten der Gitarre für die indische Musikszene, die in ihren langen Traditionen lebt, aber auch immer neue Elemente oder Instrumente adaptierte. Sie sind es, die aus der Gitarre durch Modifizierungen gewissermaßen wieder ein richtiges indisches Instrument machten, es in diesem Kosmos legitimierten und sein Potential entwickelten. Bhattacharya ist wesentlichster Schüler von Pandit Brij Bhushan Kabra, dem ersten Meister, der klassische indische Musik auf der Slide- Gitarre interpretierte und der heute oft als der faszinierendste Slide- Gitarrist der Welt angesehen wird. Dessen Guru wiederum, der berühmte und einflussreiche Ali Akbar Khan, war beeindruckt. Nicht verwunderlich, dass Debashish sich dem Stil Khans sehr nahe fühlt, jedoch auch weitere Arten studierte, um die verschieden Traditionen in Synthese zu nutzen. Die Modifizierung seiner Gitarre (einer Höffner Archtop, die viele Jahre Kabra selbst gespielt hatte) zur Deva vina bietet ihm viele Möglichkeiten, Ton und Klang zu variieren. Während die meisten indischen Gitarristen die Bordunsaiten, analog etwa zur Vina, mit dem Daumen anreißen, ermöglicht ihm das Plazieren dieser Seiten auf der Trebble Seite, ein akzentuierteres Spiel mit dem Daumen auch auf den Hauptsaiten.
Die klassische indische Musik mit ihrem mikrokosmischen Nuancenreichtum verlangt vom Slide-Spieler eine sehr sensible Arbeit mit dem Slide. Battacharyas meisterhaftes Spiel ist geprägt von nuancenreicher Akzentuierung bis hin zu unglaublich rasanten Stakkati. Die Interpretationen der Raga Saraswati (ursprünglich ein karnatischer, südindischer Raga), Raga Mishra Kafi und Raga Mishra Pahadi verdeutlichen die Tatsache, daß er neben Mohan Bhatt (und Altmeister Kabra) zu den faszinierendsten Slide-Gitarristen, aber eben auch zu den Meistern klassischer nordindischer Musik zählt.
Steffen Basho-Junghans
UARAGNIAUN
(Dunya Records/Gebhardt fy8008 2)
16 Tracks, 72:41; mit ital./engl. Infos
Fazit vorweg: Uaragniaun sind eine süditalienische Folk-Supergruppe. Erstens machen sie wunderbare Musik, zweitens machen auf Skuarrajazz jede und jeder mit, die in der süditalienischen Folk-Szene das Spielen haben. Angefangen bei Daniele Sepe (Saxophon) über Piero Ricci (Dudelsäcke), Ambrogio Sparagna (Knopfakkordeon) bis zum Coro Polifonico S. Mercadante füllt die Gästeliste eine halbe Seite des CD-Booklets. Bei so vielen MusikerInnen auf einer CD könnte viel schief gehen. Geht es aber nicht! Das Stammtrio von Uaragniaun, bestehend aus der großartigen Sängerin Maria Moramarco, dem Gitarristen Luigi Bolognese und dem Perkussionisten Silvio Teot hatte bei den Aufnahmen alles im Griff. Pro Stück wurde nur eine handverlesene Zahl Gäste ins Studio hereingelassen. Die anderen warteten schön brav vor der Türe auf ihren Einsatz. Und der hat sich für alle Beteiligten gelohnt. Jedes Lied ist eine Ohrenweide ob Maria Moramarco mit karger Begleitung einen archaischen Hirtengesang anstimmt oder die dumpfen Tamorra-Trommeln, Flöten, Gitarren und Borduninstrumente eine Tarantella einleiten. Der Begriff Skuarrajazz stammt aus der Region Murgia, heißt übersetzt Aufruhr und hat nichts mit Jazz zu tun. Im Gegenteil: Uaragniaun legen Wert auf eine exakte Interpretation traditioneller Lieder, die aktuell und gültig klingt. Wer süditalienischen Folk liebt, wird von dieser CD begeistert sein, wer noch keine süditalienische CD besitzt, sollte diese kaufen.
Martin Steiner
TRE MARTELLI
(Dunya Records/Gebhardt CD FY 8023)
14 Tracks, 54:43; mit ital./engl. Infos
Lange Zeit gab´s nix mehr aus dem norditalienischen Piemont, seitdem die Gruppe La Ciapa Rusa, jahrzehntelanges Synonym für die lebensfrohe und mitreißende Musik dieser Region, heimlich, still und leise ihr Leben ausgehaucht hatte. Die im Vorfeld hochgelobte Gruppe BEV habe ich in Rudolstadt live nur als schlechten Ersatz empfunden, drucklos und ohne Power. Jetzt meldet sich ein Veteran der italienischen Rootsmusik-Szene zurück: Die älteren Herren der Gruppe mit dem irreführenden Namen (es sind ihrer sechs, und kein einer heißt Martelli!) sind schon seit Ende der siebziger Jahre aktiv, haben in dieser Zeit sechs Platten eingespielt und gehen in der aktuellen Besetzung ab wie Zäpfchen. Traditionelle Monferrinas, Polkas, Scottische, Mazurkas aus der Zeit der Jahrhundertwende, und zwar aus dem vorletzten fin de siècle, angereichert durch Eigenkompositionen, all das bildet den Grundstock des Instrumental-Repertoires ihrer neuen CD.
Mit Ciaco Marchelli hat die Gruppe einen Tenor der Extraklasse, und die ergreifend schön gesungenen Balladen stehen in wunderbarem Kontrast zu den mitreißend gespielten Instrumentalstücken. Der für das Piedmont typische Klang der Piffero mischt sich mit Drehleier, Dudelsack, Barockblockflöten, Melodeon, Geige, Mandoline, Bass, Gitarre und den Instrumenten der Gastmusiker zu einer rasanten Mischung, die sofort paralysiert und eine breites, glückseliges Grinsen auf das Gesicht des Zuhörers zaubert. Das Fußwippen bekommt man außer bei den Balladen gar nicht unter Kontrolle. Eine Musik, bei der man sich unwillkürlich an heiße Tage und Sommernächte in der norditalienischen Provinz versetzt fühlt. Herbstfrust? Winterblues? Tre Martelli auflegen und abtanzen!
Ulrich Joosten
DIVERSE
(Network 35.832/Zweitausendeins)
2 CDs, 33 Tracks, 2:21:16; Infos dt./engl./franz.
So eine Veröffentlichung zusammen zu stellen, muss schmerz- und lustvoll zugleich sein: tolle Musik aus 19 Ländern, aber die muss auf zwei Silberlinge passen. Dem Hörer droht eine ganz andere Pein, denn fast alle Songs verlocken dazu, von dem jeweiligen Künstler mehr zu wollen. Tatsächlich sind mehrere bereits mit einem ganzen Album bei Network zu haben, die beiden aktuellen, Carmen Gonzalez aus Kuba und Pepe Vasquez aus Peru, sind am Ende mit aufgeführt. Sie stehen stellvertretend für die Richtung dieser Mega-Compilation: Tanzmusik, modern arrangiert und zeitgemäßer Studiotechnik zugewandt, und doch tief in der lokalen Tradition fußend wobei, der Albumtitel sagt es, nicht zuletzt Wert auf afrikanische Ursprünge gelegt wurde. Das ist immer wieder in den Gesangstechniken zu hören, manifestiert sich aber auch in einer großartigen Vielfalt von Trommeln, anderen Rhythmusinstrumenten, Xylophonen und dergleichen mehr. Das Ergebnis muss man als Silvesterparty bezeichnen (wo es prima hinpasst), eine Champagnerorgie schwarzer Musik von Belize bis USA, ein Feuerwerk getanzter Lebensfreude von Ecuador bis Venezuela. Von stimmgewaltigen Gospelchören über Reggae-Roots, vom finstersten Blues bis zur knalligen Salsa wird ein beachtliches Spektrum abgedeckt. Natürlich vermisst man viel mehr Künstler als man vorfindet, wie auch anders. Der Schmerz der Plattenfirma, jedes Ja! für ein Lied mit einem Nein! für 50 andere bezahlt haben zu müssen, hat sich aber gelohnt. Für den Hörer auf alle Fälle, denn der kann nun den umgekehrten Weg gehen und seine Perlenkette an Alben selbst zusammen stellen. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Kontostand.
Luigi Lauer