Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder drei CDs, die aus der Masse herausragen:
Symphonie Bretagne
(L'Oz 31 / DB 5X2 / Town Music)
21 Tracks; 57:24; Booklet mit vielen Landschaftsaufnahmen
Es gibt grob gesagt drei Möglichkeiten, wie Folk und Klassik zusammengehen können. So kann ein klassischer Komponist Folkthemen aufgreifen und in seinem Werk verarbeiten, wie dies früher nicht unüblich war. Hier dominieren dann die Gesetze der Klassik. Möglich ist auch, dass sich eine zum Bombast neigende Folkband durch ein addiertes Symphonieorchester überhöhen lässt, wie dies Tri Yann neulich vorexerziert hat. Von klassischer Musik kann hier kaum noch die Rede sein. Eine recht geglückte Symbiose von Folk und Klassik hat dagegen der bretonische Pianist Didier Squiban geschaffen. In seiner symphonie bretagne hat er bretonische Folkthemen zu drei Sätzen zusammengefügt und für großes Orchester arrangiert. Hier werden die klanglichen Möglichkeiten eines 45köpfigen Symphonieorchesters und eines aus 25 Personen bestehenden Chores voll ausgeschöpft. Die Komposition selbst bleibt allerdings recht geradlinig, die Themen werden zwar in der Breite entwickelt, aber kaum verändert oder gar durchgearbeitet. Das Werk ist effektvoll, aber nicht gerade mutig. Man könnte etwa von Orchester-Folk sprechen. Squiban bleibt damit auf der Linie seiner Solo-Piano-CDs Molène und Porz Gwenn, deren Themen er im symphonischen Werk auch ausgiebig zitiert bzw. zweitverwertet. Dass Squiban arrangieren kann, hat er ja schon früher gezeigt: beim Jazz-Orchester Sirius und beim Folk-Spektakel An Tour Tan. Unklar bleibt allerdings, wie weit sich Squiban auch um die Details seiner Symphonie gekümmert hat, denn für die eigentliche Orchestration zeichnet der bretonische Komponist Pierre-Yves Moign verantwortlich. Entstanden ist das Werk als Auftragsproduktion der Stadt Lorient und der Zeitung Ouest-France, unmittelbarer Anlass war der zehnte Geburtstag des Orchestre de Bretagne. In der Bretagne wird das Werk nun vor allem als gesellschaftliches Ereignis betrachtet. Die Uraufführung in Lorient fand im Juni 2000 mit 10 000 Zuschauern statt, weitere Mammut-Konzerte in Rennes und Brest folgten, die CD war schon vorher aufgenommen worden. Doch auch (folk-)musikalisch dürfte die Symphonie Maßstäbe setzen. Im Vergleich mit Alan Stivells Celtic Symphonie von 1987 schneidet Squibans Werk jedenfalls um Längen besser ab.
Christian Rath
The Raga Guide A Survey of 74 Hindustani Ragas
(Nimbus Records/Naxos NI 5536/9)
4 CDs + 196 S.-Buch (Hrsg.: Joep Bor)
Mal ehrlich, was wissen wir schon von der Musik Indiens? Ein paar Details, Klischees, Stichworte vielleicht: Ravi Shankar, Sitar, Tabla, Raga.....und schon Schluss, oder? Zugegeben, auch der großspurige Fragesteller und Autor dieser Zeilen hat trotz über 15-jähriger Beschäftigung mit der Materie lediglich den Status eines 'liebenden Hörers' inne und ist immer noch Lichtjahre davon entfernt, diese Musik rational begreifen, geschweige denn, z.B. einen Raga anhand seiner auf- und absteigenden Notenwerte erkennen und bestimmen zu können.
Damit Menschen wie der Herr B. dereinst aber nicht allzu unwissend in ihre nächste Daseinsform torkeln, hat die britische Plattenfirma Nimbus ein 4-CD-Set plus 196-seitigem Buch im Quartformat herausgebracht, das sich didaktisch hervorragend mit dem 'Basisrepertoire' der nordindischen Klassik beschäftigt. 74 Ragas, von A wie Abhogi bis Y wie Yaman , werden anhand ihrer musikalischen Charakteristika (wie den auf- und absteigenden Skalen) vorgestellt. Überdies erfährt man Interessantes und Wichtiges zu Geschichte und Aufführungspraxis (wie den vorgeschriebenen Tages- und Nachtzeiten, zu denen der einzelne Raga gespielt werden sollte...), und kann schlußssendlich das so Gelernte direkt hörend überprüfen, denn die 4 CDs enthalten 'Kurzformen' aller 74 Ragas, dargeboten von Meistern wie Hariprasad Chaurasia (Bambusflöte 'bansuri'), Buddhadev Das Gupta (Kurzhalslaute 'sarod'), der Sängerin Shruti Sadolikar-Katkar und dem Sänger Vidyadhar Vyas. Abgerundet wird dieses großartige Standardwerk durch 40 wunderschöne farbige Illustrationen aus dem 17 Jh. und einem ausgesprochen informativen Glossar der Fachbegriffe rund um diese Musik.
Walter Bast
P.S.: Das CD-Buch-Paket wird hierzulande in der englischen Originalausgabe von Naxos-Schallplatten vertrieben; eine Übersetzung des Buches ins Deutsche wäre sicherlich wünschenswert, ist aber m.W. derzeit nicht geplant.
Das kalte Herz musikalische Bilder aus dem Schwarzwaldmärchen von Wilhelm Hauff
(Trend Records TCD 0200061)
18 Tracks, DDD, 68:30)
Lange hat man nichts mehr gehört von jener fetzigen Truppe, die in den 80er Jahren alle Rekorde der Straßenmusik brach und zu den erfolgreichsten deutschen Gruppen gezählt werden muss. Aus den Kids mit den unter Anleitung des Akkordeonspielers Jochen Eßrich selbstgebauten Instrumenten sind mittlerweile gestandene Musiker geworden. Eintüten ließ sich ihre Musik schon damals kaum. Das fällt auch bei dieser CD schwer, die keinen Revitalisierungsversuch darstellt, sondern ein völlig anderes Thema hat, das zudem mit der Kaikai-Besetzung allein nicht zu realisieren gewesen wäre. Bei dieser Produktion im (eigenen) Studio in Beuren finden sich deshalb einige gestandene Namen der südwestdeutschen Szene.
Eine Geschichte in musikalischer Form (ohne Gesang) zu erzählen, die sich traditioneller Rhythmen, Harmonien und Instrumente bedient, versuchte man im 'keltischen Europa' schon in jener Zeit, als Kaikai groß wurde, zu nennen v. a. Shaun Davey in Irland (The Brendan Voyage, Pilgrim, Granuaile) und Billy Jackson in Schottland (Wellpark Suite). Davon hat man sich anregen lassen, solches auch mit dem literarischen Erbe der eigenen Heimat zu versuchen und dazu das Schwarzwaldmärchen Das kalte Herz von Wilhelm Hauff (1802-27) ausgewählt, weil dort Landschaft und Charaktere des Schwarzwaldes so getroffen sind, dass man sie sich gut in musikalischen Bildern vorzustellen vermag. Für die Vertonung eines solchen Märchens außerhalb der E-Musik gibt es in Deutschland derzeit kein Beispiel, an dem man sich hätte orientieren können, und natürlich auch keine traditionellen musikalischen Vorgaben. So galt es, weitgehend neue Stücke zu komponieren und sie angemessene zu arrangieren, d. h. an den Handlungsablauf zu binden. Dass bei einer solchen musique parlante das Köhlerleben oder das Steinerne Herz nicht fetzig daher kommen, versteht sich von selbst, dafür fand beim Tanzbodenkönig ein Schwarzwälder Zwiefacher der besseren Art Verwendung. Die den glücklichen Ausgang des Märchens thematisierenden letzten Titel (Versöhnung und Ausklang) sind Ohrwürmer mit hymnischen Qualitäten, bei denen ich mich nicht wundern würde, wenn sie bald auch zum Repertoire anderer Gruppen gehören. Diese CD will nicht die deutsche Antwort auf Brendan Voyage sein, aber auch keinen Schwarzwaldfolk begründen. Ein bemerkenswerter Beitrag zur schwächelnden deutschen Szene ist sie in jedem Fall.
Andel Bollé