backDie besondere CD

Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder vier CDs, die aus der Masse herausragen:

Galicien BERROGÜETTO --> Reise durch Urticaria
Irland ALTAN --> Another Sky
Weltweit DIVERSE --> The Rough Guide
Venezuela CHEO HURTADO --> Cuatro arpas y un cuatro


Die Besondere – Galicien

Reise durch UrticariaBERROGÜETTO

Reise durch Urticaria

(Endirectocom ECD 003)
11 Tracks, 48:41, Texte in Galicisch und Deutsch

Der Titel sollte nicht irritieren. Das ist keine deutsche Gruppe, die unter der neuen Flagge spanischer Kelten segelt. Ihre zweite CD ist vom ambitionierten deutschen Label Endirectocom verlegt (unter Lizenz von Dol Fol), das sich im Verein mit dem Vertrieb Contacto Latino normalerweise um Latin Music kümmert. Das hat den Vorteil, daß das exzellente Booklet auch in deutsch geschrieben ist. Als "innovativste Band der Szene" wird einem ja vieles angeboten, aber in diesem Fall kann ich das vorbehaltlos unterschreiben. Der Silberling ist das beste, was mir in letzter Zeit untergekommen ist, nicht nur für Galicien (vergeßt Nuñez). Ihre erste CD war schon viel gelobt und ausgezeichnet worden, aber doch in vielen Passagen noch eine deutliche Hommage an andere keltische Stile. Mit neuer Geige (Quim Fariña) und der bemerkenswerten Sängerin Guadi Galego gelingt Berrogüetto eine mühelose Verbindung von Tradition und Moderne, weit jenseits eines Experiments. Gekonnte Parts mit Gaita und Drehleier (beide Anxo Pintos, der auch Saxophon, Flöte, Piano etc. zu bedienen weiß) wechseln mit ruhigen Stücken oder auch mal einer rockigen Einlage. Das alles ist gekonnt arrangiert und entbehrt jener bemühten Variationen, die einem das Zuhören so oft verleiden, wenn die Musiker über ihrem Limit spielen wollen. Zu dem Septett gehören noch: Santiago Cribeiro (acc, kb), Kiko Comesaña (bouz, Harfe), Isaac Palacín (perc) und Guillermo Fernández (g) sowie ein paar Gäste. Die Stücke sind bis auf zwei neu geschrieben und hervorragend abgemischt. Zum positiven Eindruck tragen auch die außergewöhnlichen Fotos des Booklets (Xoán Piñón Logo, Armando Lago) bei, die wohl eine Anspielung auf die Zweideutigkeit des Titels sind. Er bezieht sich sowohl auf ein literarisches Werk von Etienne Cabet aus dem 19. Jh., in dessen "Reise nach Icaria" eine utopische Stadt dieses Namens eine Rolle spielt, wie auch auf das galicische Wort "Urticaria", welches eine allergische Hautreaktion bezeichnet. Für mich die CD des Jahres 99.

Andel Bollé


Die Besondere – Irland

AltanALTAN

Another Sky

(Virgin)
13 Tracks, 49:39

Was Besonderes? Eigentlich nicht. So, wie man jedes Jahr damit rechnen kann, dass Frühling wird, kann man erwarten, dass Altan mit jeder CD ein Qualitätsprodukt abliefern: allerdings kein deutsches, sondern ein irisches, das einmal schmachtet und das andere Mal ordentlich in die Beine geht. Beides bekommen geneigte Hörer auch hier geliefert: "Beidh Aonach Amarach" ist ein ordentlicher Opener, bei dem man ob der ausgetüftelten Sätze von Mairéad Ní Mhaonaigh aufhorcht und die Platte schon allein schon deshalb für besitzenswert hält. Wir müssen wohl nicht die meisterlich nach Altan-Art arrangierten und gespielten Tunes erwähnen (laut Presseinfo Mairéad Ní Mhaonigh – Fiddle, Ciaran Curran – Bouzouki, Mark Kelly – Gitarre, Ciaran Tourish – Fiddle, Dermot Byrne – Akkordeon, dazu noch berühmte Menschen wie – es ist nicht gelogen – Bonnie Raitt, Dobro-Meister Jerry Douglas, Fiachra Trench, Donal Lunny, Jimmy Higgins mit Riverdance-Percussion und Grammy-Gewinner Gary Paczosa am Mixer); ansonsten gibt es noch eine herzzerreißende Version von "Green Grow The Rushes", "Island Girl" von Steve Cooney von weitere irisch-sprachige Songs sowie "Girl From The North Country" – nach dem Großmeister Dylan selbst die schönste Version, die ich bisher gehört habe. Nix Besonderes? Naja, Frühling eben.

Kerstin Braun


Die Besondere – Weltweit

Scottish FolkDIVERSE

The Rough Guide

(World Music Network/tis/eastwest records)
Serie von 38 CDs und wachsend; mind. 65 Min.; mit Infos

Sie erinnern sich an den Artikel über die amerikanische Samplerfirma Putumayo (Folker 6/99 S. 12 ff)? Die, die Sampler auf amerikanische Art zusammenstellen und vermarkten? Die Rough Guide-Serie ist das europäische Gegenstück und sie ist einfach brilliant.

Rough Guide-CDs sind entstanden aus den über 100 gleichnamigen; englischsprachigen Reiseführern, die wegen ihrer fehlenden 'rosa Urlaubsbrille' einen ausgezeichneten Ruf haben. Die sauber recherchierten Artikel lassen die regionale Musiken nie aus und da war irgendwann der Gedanke an einen 'klingenden Reiseführer' nur noch logisch.

Natürlich habe ich nicht alle 38 CDs erhalten und gehört, meine Ohren und meine Regale haben auch nur eine begrenzte Aufnahmekapazität. Ein Bruchteil reichte jedoch völlig aus, um mich von der durchgehend hohen Qualität zu überzeugen. Die meist von Phil Stanton zusammengestellten CDs weisen jeweils kurze, aber aussagekräftige Infos zu Land/Musikgebiet und den Künstlern auf. Die Palette der Themen reicht von Irish Folk, Japan, Portugal und Cuba über Reggae, Latin America, Kenya & Tanzania und Zimbabwe bis hin zu Native American Music, English Roots Music, The Andes sowie Music of the Gypsies.

Zwei Beispiele, wie repräsentativ der Inhalt der u.a. vom politisch links stehenden englischen New Internationalist Magazine gesponserten CDs ist. Da ist zum einen "The Music of Africa" mit eine ausgiebigen Reise über den Kontinent, die im Senegal mit Cheikk Lô beginnt und weitergeht z.B. mit Busi Mhlongo, Oliver Mtukudzi (dieses Jahr in Rudolstadt!), Toumani Diabate, Ali Hassan Kuban und Youssou N'Dour, um dann mit Luky Dube in Südafrika zu enden. Da ist zum anderen für die Fans der Grünen Insel "Irish Folk": Von Brian Hughes' atemberaubenden Tin Whistle-Spiel über Reeltime, Cherish The Ladies, De Danann, Declan Masterson, Seán Tyrrell, Craobh Rua und Jackie Daly bis hin zu Déanta und ihrer umwerfenden Sängerin Mary Dillon. Man sieht: Die Repräsentanten der einzelnen Musikrichtungen sind nicht beliebig, sondern eine spannende Mischung zwischen Giganten und Neuentdeckungen, die es in sich haben. Was mir allerdings auffällt: Bei den 19 Tracks auf der durchaus nicht schlechten "Scottish Folk"-CD befindet sich keiner von der wichtigsten Firma Greentrax. Lizenzprobleme?

Dennoch: Schicken Sie Ihre Ohren auf Reise, Abenteuer und Erholung sind garantiert!

Mike Kamp


Die Besondere – Venezuela

HurtadoCHEO HURTADO

Cuatro arpas y un cuatro

( Tropical Music 68.807 )
12 Tracks, 60:37; Infos in Englisch

Venezuela? Sicher? Manchmal hört man sich doch eher in Madagaskar, so ähnlich sind bisweilen die Harfen-Klänge denen der Mahrovanys und Valihas der großen Insel. Doch tatsächlich handelt es sich hier um Musik aus Venezuela; die in der Kolonialzeit gestrickten Verbindungen werden so leicht nicht mehr ans Licht zu holen sein. Dass es sie gab, ist unüberhörbar. Cuatro arpas, klar, vier Harfen, und eine Cuatro, viersaitig, wie der Name befiehlt, klanglich das Pendant zur kubanischen Tres. Der erste Song ist fast 7 Minuten lang, und nichts verwundert mehr, als dass er so schnell vorüber ist. Was Cheo da mit diesem kleinen, mandolinenförmigen Instrument anstellt, ist wahrlich atemberaubend. Ob er mit gedämpften Saiten ein rasendes Solo spielt oder die Töne ihrer kurzen Ausklangphase überlässt, ob er mit dem Plektrum das rhythmische Rückgrat bildet, ob er das harmonische Geschehen mit Akkorden steuert oder nur einzelne Phrasen vorgibt oder interpretiert ­ es ist alles erlesen, was der Mann macht, das Wort "virtuos” ist hier keineswegs strapaziert. Er schaufelt damit den Harfenisten den Weg frei, die einen ähnlich guten Job machen, und manchmal darf auch ein Bass deren linke Hand entlasten, um sie zu Höhenflügen zu überreden. Das hat Methode: Denn Hurtado will gerade erreichen, dass die Harfensektion die Möglichkeiten ihrer Instrumente auskostet. Zwar wünscht man sich dieselbe technische Versiertheit und musikalische Unverfrorenheit bei den Harfen, wie sie Hurtado an der Cuatro liefert. Aber das ist auch so schon faszinierende Instrumentalmusik auf betörendem Niveau.

Luigi Lauer


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